Ein 64-jähriger Mann verletzt eine 79-jährige Fußgängerin tödlich, weil mehrere unglückliche Umstände an einem Januarmorgen zusammenkommen.

Leonberg - Der korpulente Mann mit der Glatze auf der Anklagebank stand in seinem Leben häufiger auf der Schatten- als auf der Sonnenseite. Der Leonberger hat Probleme mit der Bandscheibe, seit vier Jahren muss er zudem regelmäßig zur Dialyse, nachdem seine Nieren ihren Dienst versagen. Er arbeitet halbtags auf 450 Euro-Basis im Service, die finanziellen Verhältnisse sind angespannt. Und seit Januar vergangenen Jahres ist er um ein Trauma reicher, nachdem er eine 79-jährige Frau überfahren hat.

 

Inwieweit ihm das zum Vorwurf gemacht werden kann, sollte ein Prozess vor dem Leonberger Amtsgericht klären. Der Vorwurf lautete auf fahrlässige Tötung. Die Anklage warf ihm vor, im Januar vergangenen Jahres gegen 7 Uhr am Morgen aus Unachtsamkeit eine Fußgängerin überfahren zu haben, als er aus der Linden- in die Eltinger Straße eingebogen ist. Er habe freie Sicht gehabt, aber nicht reagiert, als die 79-Jährige vor ihm die Straße überquert habe. Die Frau starb circa eine Stunde später im Krankenhaus.

Angeklagter spricht von „Trauma“

Wie es zu diesem Unfall kommen konnte, kann der Angeklagte bis heute nicht richtig erklären. „Vieles ist immer noch ein schwarzes Loch, obwohl mir eine Psychologin geholfen hat, das Trauma ein Stück weit zu überwinden“, sagte er. Er wisse noch, dass er an diesem Morgen zur Dialyse gefahren sei, die normalerweise nachmittags sei. Da das Auto noch kalt gewesen sei, sei er nicht auf direktem Weg zu der nur wenige hundert Meter entfernten Arztpraxis gefahren.

Als er in die Eltinger Straße abgebogen sei, habe er in den Augenwinkeln einen wartenden Bus wahrgenommen. „Da ich schlechte Erfahrungen mit Bussen habe, die vor dem Abfahren nicht blinken, habe ich mich kurz auf diesen konzentriert“, erklärte der Angeklagte. Als er wieder nach vorne geschaut habe, habe es auch schon geknallt. Er sei ausgeschlafen gewesen, habe sich fit gefühlt und trinke keinen Alkohol, seit er ein paar Jahre als Berufskraftfahrer gearbeitet habe. Allerdings sei es dunkel gewesen und es habe genieselt.

Dunkelheit und Nässe

Auch zwei Polizisten, die zum Unfallort gerufen wurden, konnten nicht viel zur Aufklärung beitragen: Das Verkehrsaufkommen sei zum Zeitpunkt des Unfalls nicht sehr hoch gewesen, trotz eines Aufrufs hätten sich keine Zeugen gemeldet. Einen prominenten gibt es aber doch: Der Leonberger Hauptamtsleiter Peter Höfer war aus dem Bus ausgestiegen, der vor dem Rathaus gehalten hatte. „Etwa 15 Sekunden später hörte ich ein Geräusch, als ob ein Müllsack überfahren worden wäre“, erklärte er vor Gericht. Als er die Frau auf der Straße liegen sah, leistete er Erste Hilfe. Er entlastete den Angeklagten ein bisschen: „Ich dachte mir schon, das muss schiefgehen: Es war dunkel und nass, und die Frau war auch noch dunkel gekleidet.“

Vollständig aufklären konnte den Unfall selbst ein Dekra-Sachverständiger nicht. Er hat errechnet, dass der Angeklagte mit 40 bis 50 Stundenkilometern unterwegs war. „Wenn er die Seniorin 30 Meter vorher gesehen hätte, hätte er rechtzeitig bremsen können“, erläuterte der Sachverständige. Dass der Angeklagte von entgegenkommenden Autos geblendet worden ist, hielt der Sachverständige für unwahrscheinlich: „Dann wäre die Frau auch ausgeleuchtet worden.“

Trägt die Frau eine Mitschuld?

Der Staatsanwalt räumt in seinem Plädoyer ein, dass die Sachlage nicht so eindeutig sei wie in der Anklage formuliert. Dennoch hielt er den Angeklagten für schuldig. „Sie hätten ihre Geschwindigkeit den Gegebenheiten rund um die Bushaltestelle anpassen müssen, da wäre maximal 15 bis 20 Stundenkilometer angemessen gewesen“, meinte er.

Da ein Mitverschulden der Frau, die offensichtlich den Bus erreichen wollte, nicht ausgeschlossen sei und der Angeklagte selbst unter der Tat leide, hielt er eine milde Bewährungsstrafe von drei Monaten und einen sechsmonatigen Führerscheinentzug für angemessen.

„Da muss ich erst mal schlucken“, entgegnete der Verteidiger in seinem Plädoyer. Dem Angeklagten sei kein objektiver Vorwurf zu machen. Es sei dunkel gewesen, die Fußgängerin schwer erkennbar und er mit ortsüblicher Geschwindigkeit unterwegs. Man dürfe die Erwartungshaltung an Autofahrer nicht übersteigern. Bei solch einer „brandgefährlichen Verkehrssituation“ sei sogar an einen Planungsfehler der Stadt zu denken, die hier eine Tempo-30-Zone einrichten sollte. Der Unfall habe den Angeklagten traumatisiert, man dürfe ihn jetzt nicht auch noch mit einem Schuldspruch stigmatisieren, erklärte der Verteidiger und plädierte auf Freispruch.

Verkettung unglücklicher Umstände

Richterin Sandra De Falco sah in dem Unfall eine Verkettung unglücklicher Umstände, verurteilte den 64-Jährigen aber dennoch zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe. Er habe seine Sorgfaltspflicht verletzt, da er gesehen habe, dass durch den wartenden Bus eine Gefahrensituation entstanden sei. „In diesem Augenblick hätten sie ihre Geschwindigkeit auf 15 bis 20 Stundenkilometer reduzieren müssen“, stellte De Falco klar. Wegen der angespannten finanziellen Situation des Angeklagten sah sie von einer Geldbuße ab und verhängte auch keine Führerscheinsperre.