Ein Arzt und eine Hebamme sollen Schuld daran sein, dass eine Stuttgarterin im Frühjahr 2010 in einem Geburtshaus in der Landeshauptstadt ein Kind zur Welt gebracht hatte, das kurz darauf starb. Die Hebamme räumt Fehler ein, der Arzt streitet die Vorwürfe ab.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Stuttgart - Die Situation in einer Stuttgarter Geburtsklinik im April 2010 ist dramatisch gewesen. Eben erst hatte der Arzt ein scheinbar gesundes Kind zur Welt gebracht. Doch der kleine Junge atmete nicht. Während der Arzt nebenan um das Leben des Kindes kämpfte, versuchte die Mutter ihren Lebenspartner, der während der Geburt zugegen war, und angesichts des leblosen Jungen weinte, zu beruhigen: „Es ist schon nichts Schlimmes.“ Doch der Junge war bei der Geburt zu lange nicht mit Sauerstoff versorgt gewesen – drei Tage später starb er.

 

Keine angemessene Reaktion bei Herzrasen des Kindes

Schuld am Tod des Kindes sollen der Arzt und die Hebamme sein. Der Gynäkologe und die Geburtshelferin müssen sich seit Montag am Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Die Angeklagten, die jeweils langjährige Berufserfahrung vorweisen, sollen gleich mehrere verhängnisvolle Fehler begangen haben, die dazu führten, dass der ansonsten gesunde Junge ums Leben kam. So beschuldigt der Staatsanwalt den Arzt und die Hebamme, die Geburt des Kindes, die seit acht Tagen überfällig war, mit einem Medikament eingeleitet zu haben, ohne die Frau über die Risiken aufgeklärt zu haben. Dabei handelt es sich um den Wirkstoff Cytotec, der in vielen Kliniken eingesetzt wird, um Wehen auszulösen und den Muttermund zu öffnen. Cytotec ist dafür in Deutschland aber nicht zugelassen, sondern nur für Patienten, die eine Magenerkrankung haben.In einigen Nachbarländern ist es aber für Geburtseinleitungen zugelassen, obwohl es gefährliche „Wehenstürme“ auslösen kann. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Arzt im konkreten Fall vor, dass er die Mutter nicht in einem Gespräch über die Gefahren von Cytotec aufgeklärt habe, das zudem er ihr hätte geben müssen. Statt dessen verabreichte die Hebamme der Frau nach Absprache mit dem Arzt das Medikament. Prompt traten eine Stunde später Komplikationen auf: Beim Messen der Herzfrequenz des Kindes wurden Auffälligkeiten festgestellt, die erstmals darauf hingedeutet haben sollen, dass bei der Geburt etwas aus dem Ruder zu geraten droht.

Kein Aufklärungsgespräch mit werdender Mutter?

Die Hebamme hätte daher den Arzt zur Hilfe rufen müssen, so der Staatsanwalt. Dies habe die Geburtshelferin aber nicht getan. Statt dessen habe sie der Frau nachmittags eine weitere Cytotec-Dosis verabreicht. Und am frühen Abend sei der Herzschlag des Kindes daraufhin in eine Höhe katapultiert, der lebensgefährlich gewesen sei. „Dies machte eine unmittelbare Entbindung erforderlich“, so der Staatsanwalt. Doch trotz dieser Vorzeichen habe es keinen Kaiserschnitt gegeben, sondern man habe das Kind erst drei Stunden später auf natürlichem Weg zur Welt gebracht.

Anklage: keinen notwendigen Kaiserschnitt eingeleitet

Die Hebamme räumte ein, den rasenden Herzschlag des Kindes nicht erkannt zu haben. Sie sei an dem Tag zeitgleich mit zwei weiteren Schwangeren in Kontakt gewesen: Mit einer Gebärenden im Nebenraum und mit einer weiteren Schwangeren über Telefon. „Ich war von der Gesamtsituation überfordert“, sagte die Hebamme, die der Tod des Kindes so stark mitgenommen hat, dass sie seit Herbst 2012 als Hebamme nicht mehr in einem Kreißsaal arbeitet.Der Arzt streitet die Vorwürfe ab. Er habe sich ganz auf die langjährige Erfahrung der Hebamme verlassen: „Ich wäre eingeschritten, wenn sie mich informiert hätte.“ Er habe die werdende Mutter auch in einem Aufklärungsgespräch über die Cytotec-Risiken aufgeklärt. Das von ihr unterschriebene Informationsblatt sei aber aus unerklärlichen Gründen verschwunden.

Arzt streitet Mitschuld ab

Die 37 Jahre alte Mutter berichtete von einer Bilderbuchschwangerschaft. Sie betonte, dass es ein Gespräch über Cytotec nie gegeben habe. Mittlerweile hat die Frau zwei gesunde Kinder zur Welt gebracht.

In dem Prozess, für den zwei weitere Verhandlungstage angesetzt sind, soll auch ein Sachverständiger gehört werden. Mit dem Urteil wird für 13. Oktober gerechnet.