Die Währungsfonds-Chefin Christine Lagarde muss am Montag vor einem Pariser Spezialgericht antreten. Die frühere Ministerin soll vor Jahren eine umstrittene Anweisung durchgewinkt haben. Bloß trifft die Anklage eigentlich die falsche Person.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Die „mächtigste Frau der Welt“, wie Christine Lagarde schon bezeichnet wurde, muss zittern. Und mit ihr ein großer Teil der Finanzwelt und so manche Regierung, die bei dem Internationalen Währungsfonds (IWF) in der Kreide steht. Schuld ist ein Sandkorn, das sich in die sonst tadellose Karriere der eleganten Französin geschlichen hat: Lagarde (60) muss sich von Montag an für einen Entscheid verantworten, mit dem sie selber keinerlei Interessen verband und den sie nur auf Bitte ihres politischen Vorgesetzten abgesegnet hatte.

 

Der Fall hat sich im Jahr 1992 zugetragen

Der Fall liegt weit zurück. Der französische Fußballmanager Bernard Tapie hatte den Sportartikelhersteller Adidas 1992 an die Staatsbank Crédit Lyonnais verkauft, dabei aber womöglich ein schlechtes Geschäft gemacht. Er zog vor Gericht, blitzte aber rundum ab. Also spielte er seinen letzten Trumpf aus – seine nach wie vor hohe Popularität im Volk. Nicolas Sarkozy machte sich diese zunutze: Tapie rief 2007 – erfolgreich – zur Wahl Sarkozys auf. Tapie erhielt später von Staats wegen, aber über ein privates Schiedsgericht, eine Entschädigung in Höhe von 404 Millionen Euro.

Lagarde hatte mit diesem Wahlschacher, wenn es denn einer war, nichts zu schaffen. Aber als Sarkozys Wirtschaftsministerin musste sie die Billigung des Schiedsgerichtes mit ihrer Unterschrift absegnen. Wusste sie um den Deal, für den es keine Beweise gibt? Hätte sie zumindest wissen müssen? Die Linksopposition in Paris verlangte 2011 Aufklärung, wobei sie nicht Lagarde im Visier hatte, sondern Sarkozy, der 2012 zur Wiederwahl antreten wollte. Eigentlich müsste er auch am Montag auf der Anklagebank Platz nehmen, meint sie. Da der Staatschef aber Immunität genießt und die Ministerin unterschrieben hatte, blieb die Affäre an ihr hängen. Dass sie den Kopf für den französischen Präsidenten hinhalten muss, entlarvt dessen faktische Stellung über dem Gesetz, auch über den Bürgern. Man muss den handschriftlichen Brief lesen, mit dem Lagarde ihrem „lieben Nicolas“ Nibelungentreue schwor. „Ich bin an Deiner Seite, um Dir zu dienen“, schrieb sie im Dokument, das den Ermittlern bei einer Hausdurchsuchung in die Hände fiel. „Benütz mich so lang, wie es Dir passt. Wenn Du mich benützt, brauche ich Dich als Führer und Helfer. Ohne Führer wäre ich wirkungslos.“ Gefolgt von der Unterschrift: „Mit meiner immensen Bewunderung, Christine L.“

Einstige Ministerin schwor Sarkozy Nibelungentreue

Man kann nur staunen, wie eine Frau, die eine internationale Topinstitution seit fünf Jahren souverän leitet, ihre eigenen Führungsqualitäten anzweifelt. Oder, anders betrachtet, wie sich eine Vertreterin des Pariser Hofes, und sei es als Ministerin, dem Wahlmonarchen im Elysée-Palast auf Gedeih und Verderb ausliefert. Das führt zur zentralen Frage, wie Lagardes Verhalten strafrechtlich einzustufen ist. Der Gerichtshof der Republik wirft ihr „Nachlässigkeit“ vor – ein unbefriedigender Ausdruck für ihren wegschauenden Kadavergehorsam. In Interviews erklärt die IWF-Direktorin, sie habe die „Interessen des Staates“ verfolgt. Das klingt unglaubwürdig, es sei denn, sie meint damit auch die persönlichen Interessen des Präsidenten.

Gerichtshof der Republik wirft Lagarde Nachlässigkeit vor

Sicher ist, dass eigentlich niemand LagardesProzess wünscht und schon gar nicht eine Verurteilung, die für die Weltwirtschaft nur destabilisierend wäre. In Finanzkreisen genießt die frühere Business-Anwältin einen guten Ruf. Viele Griechen sehen in ihr zwar eine eiserne Lady, die das Land mit harten IWF-Bedingungen erwürge. Aus dem Süden kommt aber der Gegenvorwurf, die Französin stehe vorzugsweise den Europäern zu Diensten. So hieß es 2015 in einem internen IWF-Papier, der Fonds spreche seine Kredite an Athen aufgrund politischer, nicht „unabhängiger und technokratischer“ Kriterien zu. Diese Kritik zielt aber nicht unbedingt auf die Person Lagardes; die Schwellenländer wollen damit nicht zuletzt ihren Anspruch auf den nächsten IWF-Vorsitz anmelden. Solche globalpolitischen Erwägungen sind natürlich kein Argument für die Justiz. Sie hat unabhängig zu entscheiden, und das ist auch gut so. Trotzdem ist der Prozess fragwürdig: Der Gerichtshof der Republik scheint nicht willens oder unfähig, das zentrale Momentum der „Affäre Lagarde“ – die absolute Macht des französischen Präsidenten – in Betracht zu ziehen. Sonst stünde eben der Ex-Staatschef vor Gericht. Der IWF-Exekutivausschuss hat Lagarde am Donnerstag jedenfalls erneut und ausdrücklich sein Vertrauen ausgesprochen.