Ein Prozess wegen fahrlässiger Tötung endet mit einem Freispruch und einer milden Geldstrafe.

Renningen/Weil der Stadt - Es war ein verheerender Unfall, der sich im Mai 2018 auf der Kreisstraße zwischen Malmsheim und Merklingen ereignet hat: Eine 74-jährige Frau bog mit ihrem Opel von einem Feldweg auf die K 1014 nach rechts in Richtung Merklingen ein, als ein 30-Jähriger mit seinem Audi S3 hinter einer Kuppe aus Richtung Malms-heim auftauchte. Da der 30-Jährige nicht mehr rechtzeitig hätte bremsen können, wich er auf die Gegenfahrbahn aus und prallte dort mit einem Audi A4 zusammen. Die 31-jährige Audi-Fahrerin musste von der Feuerwehr aus ihrem Fahrzeug befreit werden, wurde vor Ort reanimiert und mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus nach Stuttgart geflogen. Dort starb sie kurze Zeit später.

 

Knapp neun Monate danach versuchte das Amtsgericht Leonberg, die strafrechtliche Verantwortung der beiden anderen Autofahrer zu klären. Sowohl die 74-jährige Frau als auch der 30-Jährige waren wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Der Frau wurde vorgeworfen, auf die Kreisstraße gefahren zu sein, ohne auf den dort fahrenden vorfahrtsberechtigten Audi S3 geachtet zu haben. Dem 30-Jährigen wurde zum Vorwurf gemacht, nicht auf möglichen entgegenkommenden Verkehr geachtet zu haben. Beide Angeklagte blickten ins Leere, als die Anklage verlesen wurde, sprachen aber mit fester Stimme, als sie sich zum Unfall äußern sollten.

„Ein Schlag, der so laut war wie eine Detonation“

Die 74-jährige Frau erklärte, sie sei an besagtem Freitagabend im Mai im Garten und dann auf dem Weg zum Häckselplatz gewesen. „Ich bin schon oft an dieser Stelle auf die K 1014 gefahren. Die Einfahrt ist zwar furchtbar, aber diese Strecke ist für mich einen Kilometer kürzer“, berichtete sie. Erst als sie Gas gab, habe sie die Frontseite des herannahenden Audis gesehen. Sie habe dann noch mal in den Rückspiegel geblickt, aber nichts mehr gesehen. „Dann gab es hinter mir einen Schlag, der so laut war wie eine Detonation“, erzählte die Rentnerin weiter. Sie habe zunächst geglaubt, den Unfall könne keiner überlebt haben und sei dann richtig froh gewesen, als der 30-Jährige auf ihre Fragen antwortete. „Die Situation war fatal, eine einzige Verzweiflung“, beschrieb die ehemalige Sekretärin ihr Gefühlsleben.

Der Audi-Fahrer, der noch immer leicht hinkend im Gerichtssaal auftrat, erklärte, er fahre an dieser Stelle jeden Tag vorbei und sei nicht schneller als 100 Stundenkilometer gefahren. „Als ich über die Kuppe kam, sah ich den Opel gerade vom Feldweg einbiegen. Ich habe gebremst, gemerkt, es reicht nicht mehr, bin nach links ausgewichen, da hat es schon gekracht“, schilderte er seine Sicht der Dinge. Er habe keine andere Chance gehabt. Sonst wäre er in den Opel hineingefahren.

Wie so häufig bei Unfällen oblag es einem technischen Sachverständigen, Licht in die Abläufe zu bringen. Doch den endgültigen Hergang konnte auch der Dekra-Ingenieur nicht rekonstruieren. Feststellen lassen habe sich lediglich, dass der 30-Jährige beim Aufprall 90 bis 100 Stundenkilometer schnell gewesen sei, die entgegenkommende 31-Jährige 40 bis 50 Stundenkilometer. „Zudem waren die Sichtverhältnisse relativ schwierig, das Gras auf dem Seitenstreifen war fast so hoch wie die Leitplanken“, sagte der Mann.

Unfall lässt sich nicht eindeutig aufklären

Er könne nur eine Bandbreite festlegen, innerhalb derer sich der Unfall ereignet haben müsse. Der Zusammenstoß wäre vermeidbar gewesen, wenn der 30-Jährige 140 Meter vom einfahrenden Opel entfernt gewesen und mit nur 100 Stundenkilometern gefahren wäre. Wäre er jedoch nur 110 Meter entfernt gewesen und zudem zwischen 120 bis 135 Kilometer gefahren, hätte er keine Chance gehabt, den Unfall zu vermeiden. „Er hatte 1,2 Sekunden Zeit, um zu überlegen, ob er ausweicht oder nicht“, meinte der Sachverständige. Zudem könne der 30-Jährige von der tief stehenden Sonne auch geblendet gewesen sein.

Nachdem sich der Unfall auch mit technischen Hilfsmitteln nicht eindeutig aufklären ließ, plädierte der Staatsanwalt auf Freispruch für die 74-Jährige und eine niedrige Geldstrafe von 3000 Euro für den 30-Jährigen. Die Verteidiger forderten jeweils Freispruch für ihre Mandanten. Richter Thomas Krüger sprach die Frau dann auch frei und verurteilte den 30-Jährigen zu einer Geldstrafe von 2400 Euro und einem Monat Fahrverbot. Er sah einen „objektiven Sorgfaltspflichtverstoß“ des Audi-Fahrers darin, dass dieser seine Geschwindigkeit nicht den schwierigen äußeren Bedingungen angepasst hatte.

Der Vater der getöteten 31-Jährigen verließ den Gerichtssaal schimpfend: „Das ist viel zu wenig dafür, dass er mir meine Tochter genommen hat“, rief er. Doch der 30-Jährige leidet unter dem Unfall ohnehin noch auf ganz andere Art: Seit dem Zusammenstoß konnte er nicht mehr arbeiten, er hatte einen Wirbel, eine Hand und beide Beine gebrochen. Jeden Tag muss er zur Physiotherapie. Und die 74-Jährige leidet nach Angaben ihres Anwalts seit dem Unfall unter massiven Schlafstörungen.