Jean-Claude Mas, Hersteller minderwertiger Brustimplantate, muss sich von Mittwoch an im Kongresspalast von Marseille vor Gericht verantworten. Das Verfahren ist so umfangreich, dass Frankreichs Justiz improvisieren muss.
Marseille - Die französische Justiz muss improvisieren. Sie war auf so etwas nicht vorbereitet. Ein Strafverfahren von solchen Ausmaßen hat es in Marseille noch nicht gegeben. Das beginnt bei der Zahl der Opfer. Eine halbe Million Frauen aus aller Welt haben sich Brustimplantate der südfranzösischen Firma Poly Implant Prothèse (PIP) einsetzen lassen, die minderwertiges Industriesilikon enthalten. Mehr als 5000 Geschädigte haben Strafanzeige erstattet. Ein Gutteil von ihnen will dabei sein, wenn Jean-Claude Mas, der Besitzer des im Jahr 2010 geschlossenen Unternehmens, sowie vier seiner ehemaligen Angestellten von Mittwoch an zur Rechenschaft gezogen werden.
Für 1100 Frauen gilt das auf alle Fälle. Sie haben sich dem Verfahren als Nebenklägerinnen angeschlossen. Rund 300 Anwälte werden außerdem erwartet. Heerscharen von Urkundsbeamten haben zu Protokoll zu nehmen, wer anwesend ist und was er vorträgt. Um den Andrang zu bewältigen, hat die Justiz im Europa-Palais des Kongresszentrums mehrere Säle gemietet. Dabei ist dies nur der erste Prozess gegen Mas – und bei Weitem nicht der spannendste. Die Anklage lautet auf Betrug, der 73-jährige Mas ist geständig. Mit bis zu fünf Jahren Haft muss er rechnen. Er habe von 1995 an drei Viertel seiner Prothesen mit Billig-Gel gefüllt, hat der Mann mit dem ergrauten Vollbart und der Gelehrtenbrille eingeräumt. Den deutschen TÜV Rheinland habe er erfolgreich hinters Licht geführt. Die Kontrolleure hätten ihre Besuche zehn Tage im Voraus angekündigt, Zeit genug, um belastendes Materials verschwinden zu lassen.
Gesundheitsfragen blieben zunächst ausgeklammert
Die Frage, in welchem Ausmaß die PIP-Implantate gesundheitsgefährdender sind als mit hochwertigem, zehnmal teurerem Silikon gefertigte, ja ob sie womöglich Krebs auslösen können, ist in diesem Verfahren ausgeklammert. Sie ist wissenschaftlich noch nicht geklärt. Frühestens 2014 will die Staatsanwaltschaft einen zweiten Prozess anstrengen und Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung erheben.
Dass die Gesundheitsbehörden der Bundesrepublik und mehrerer anderer Länder dazu aufgerufen haben, die reißanfälligen PIP-Einlagen vorsorglich operativ entfernen zu lassen, lässt wenig Gutes erwarten. In 2500 Fällen waren die Silikonkissen geplatzt, was Entzündungen oder Schwellungen der Lymphknoten ausgelöst hatte. Jean-Claude Mas hat versichert, von den Gesundheitsbehörden zugelassenes Silikon könne genauso Irritationen auslösen wie das von ihm verwandte. Aber wie viel kann man überhaupt auf das Wort dieses Lebemannes geben?