Ein Ex-Geschäftsführer von EN Storage behauptet vor Gericht, mindestens ein Wirtschaftsprüfer habe von den Betrugsgeschäften der Skandalfirma gewusst.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Das Foto eines selbst erklärten Erfolgsmenschen unterbricht ein zähes Geplänkel um Auftrags- und Seriennummern auf gefälschten Rechnungen. „Genau, dem habe ich Geld gegeben“, sagt Edvin Novalic. Der Mann, dessen Bild von der Leinwand herab in den Saal vier des Stuttgarter Landgerichts strahlt, lebt in der Schweiz und verspricht nicht weniger als lebenslangen Erfolg. Wer seine Seminare besuche, könne alle Probleme im Leben vergessen, im Beruf, in der Liebe, egal.

 

Keine zwei Minuten später will der Richter Hans-Jürgen Wenzler noch einmal hören, was er eben gehört hat. „Ich verstehe das richtig“, fragt er, „der Wirtschaftsprüfer wusste, dass Sie über Tricks Geld aus der Firma ziehen?“ Mit zwei Wörtern legt Novalic dann die Schlinge um den Hals eines weiteren Beteiligten an den Betrugsgeschäften der Skandalfirma EN Storage: „Ja, genau.“ Jenes Geld für den Erfolgsberater habe er mit weiteren frei erfundenen Geschäften vom Firmenkonto abgezweigt – auf Empfehlung des Wirtschaftsprüfers.

Mittels eines Schneeballsystems hatte EN Storage fast 100 Millionen Euro Anlegergeld verschoben. Dies ist im Namen des Volkes bereits festgestellt. Novalic war der technische Geschäftsführer des einst in Herrenberg ansässigen Unternehmens. Er hatte gestanden und ist Anfang August zu knapp acht Jahren Haft verurteilt worden. Allerdings ist er bereits seit vier Wochen im offenen Vollzug. Lediglich die Nächte verbringt er im Gefängnis, die Tage in Freiheit.

Drei Wirtschaftsprüfer haben EN Storage glänzende Geschäfte beglaubigt

Strittig bleibt die Rolle des Finanzgeschäftsführers Lutz Beier. Er leugnet jede Beteiligung. Der Prozess gegen ihn zieht sich seit Juli und wird sich bis nächsten Februar hinziehen. Am Donnerstag war sein einstiger Kompagnon als Zeuge geladen. Drei Wirtschaftsprüfer hatten der EN Storage über die Jahre hinweg glänzende Geschäfte beglaubigt, die es nie gab. Sie bescheinigten auch den Anlegern per Zertifikat, dass ihr Geld ordnungsgemäß in Computerservern angelegt worden sei, die es ebenfalls nie gab. Alle drei arbeiteten für eine in Stuttgart ansässige Kanzlei. Alle drei sind nacheinander aus dem Unternehmen ausgeschieden. Der Mann, von dem Novalic sprach, war sogar Teilhaber. Die heutige Ehefrau und mitangeklagte Ex-Buchhalterin des Skandalunternehmens hatte zumindest im Namen derselben Kanzlei gegenüber dem Finanzamt Anleger von EN Storage vertreten.

Ein, zwei Dutzend geprellte Anleger verfolgen so gut wie jeden Prozesstag. Mit Blick auf ihre Konten ist ihre Laune keineswegs gehoben. Mancher hatte seine gesamten Altersersparnisse investiert. Ungeachtet dessen schallt bei Teilen von Novalic’ Aussage ein Lachen durch den Saal. „Gab es diese Straße?“, fragt Wenzler, der Richter. „Natürlich nicht“, antwortet Novalic. Gemeint ist die Adresse eines erfundenen Geschäftspartners. Sie offenbart eine zunehmende Dreistigkeit des Betrugs: Der Firmensitz war in der Fantasia Road.

Hätte jemand gefragt, wären die Ungereimtheiten offenkundig gewesen

„Hat jemals jemand Fragen gestellt wie wir jetzt?“, will Wenzler wissen. „Nein, nie“, sagt Novalic. Kein Anleger wollte wissen, wo sein Teil der Computeranlagen stand. Niemand fragte, warum Rechnungen stoßweise und mit Monaten Verspätung ausgestellt wurden. Niemand überprüfte, ob sie gezahlt wurden. „Das habe ich gefälscht.“ Diesen Satz wiederholt Novalic oft, beispielsweise bei Geschäftskorrespondenz mit Daimler. Die Nachricht, dass EN Storage eine EU-Ausschreibung gewonnen hat, habe hingegen Beier erfunden. Die Firma habe sich nie beworben.

Sich verhaften zu lassen, „hatte ich mir auch einfacher vorgestellt“, sagt Novalic. Er hatte sich selbst angezeigt und ein Geständnis angedient. Aber „beim Landeskriminalamt ist es wie beim Zahnarzt“, sagt Wenzler, „da brauchen Sie einen Termin“. Allerdings hätten Schmerzgeplagte wohl kaum vier Wochen Wartezeit akzeptiert. Novalic hätte mit einem Diplomatenpass jederzeit ausreisen können.