Wer weiß, wie lange das Martyrium noch gedauert hätte – wäre der letzte Bewacher nicht geschwind Zigaretten holen gegangen. Aber auch so waren die mehr als vier Stunden erpresserischer Menschenraub in Kaltental lang genug – bis sich das 20-jährige Opfer von den Fesseln befreien und flüchten konnte. Im Prozess um eine Entführung und Folter in einer verwilderten Gartenhütte an Dreikönig 2024 hat die Staatsanwaltschaft nun lange Haftstrafen gefordert – bis zu sechs Jahre.
Vier Beschuldigte im Alter von 20 bis 27 Jahren sollen für eine skurrile Strafaktion in der Nacht zum 6. Januar 2024 verantwortlich sein. Dem Ältesten sollen Tage zuvor zehn Kilogramm Marihuana für mehr als 50 000 Euro gestohlen worden sein – und ein 20-Jähriger galt als der verantwortliche Dieb. Der junge Mann war nach Mitternacht zu einem Treffen auf einem Supermarkt-Parkplatz im Gewerbegebiet in Vaihingen gelotst worden, wo er von der Gruppe bald darauf geschlagen, getreten, mit einer Holzlatte malträtiert wurde. Anschließend wurde das Opfer in einem Auto nach Kaltental gefahren und dort in einem verwilderten Grundstück in einer Hütte gefesselt und gefoltert. Gegen 4.45 Uhr konnte der 20-Jährige entkommen.
„Man hat ganz klar logisch gehandelt“
Die Angeklagten hatten bei dem Prozess, der seit Anfang Dezember bei der 14. Strafkammer läuft, die Vorwürfe im Kern gestanden, dabei vieles ihrer immensen Alkohol- und Drogensucht zugeschrieben. Auch in der Tatnacht sollen sie nach eigenen Angaben erheblich betrunken gewesen sein. Staatsanwältin Johanna Rilling hat dies wenig beeindruckt – sie fordert wegen gemeinschaftlichen erpresserischen Menschenraubes hohe Haftstrafen. Die Steuerungsfähigkeit sei nicht erheblich eingeschränkt gewesen: „Die Aktionen über mehrere Stunden waren durchdacht, man hat ganz klar logisch gehandelt“, sagt die Staatsanwältin.
Der 27-Jährige, der nach Auffassung der Anklage die nächtliche Strafaktion ausgelöst hat, soll für sechs Jahre hinter Gitter. Zudem sei eine Einweisung in eine Entziehungsanstalt denkbar. Ein 23-Jähriger, der unter anderem die Idee mit der Verschleppung in die abgelegene Gartenhütte hatte, soll fünf Jahre einsitzen beziehungsweise in eine Entziehungsanstalt eingewiesen werden. Für einen 24-Jährigen, der bei der Organisation des Hinterhalts mitgewirkt haben soll, werden vier Jahre Haft gefordert. Ein 20-Jähriger solle als „Mitläufer“ zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt werden, so die Anklägerin.
8500 Euro Schmerzensgeld als „Spatz in der Hand“
Die Verteidiger sehen freilich den Strafrahmen viel weiter nach vorne geschoben – unter anderem wegen verminderter Schuldfähigkeit im Vollrausch, was auch die Sachverständige festgestellt habe. Für den Jüngsten wurde gar eine Bewährungsstrafe gefordert. Außerdem habe man mit einem Täter-Opfer-Ausgleich einen Teil Wiedergutmachung geleistet. Der Geschädigte und Nebenkläger habe zugestimmt, seinem Anwalt seien hierfür insgesamt 8500 Euro überwiesen worden.
Der Anwalt des 20-Jährigen will das Geld und die Zustimmung zum Täter-Opfer-Ausgleich freilich eingeordnet wissen: „Ohne dieses Abkommen hätte er angesichts langer Haftstrafen womöglich gar keinen finanziellen Ausgleich bekommen“, sagt Rechtsanwalt Joachim Klama. So bleibe wenigstens der sprichwörtliche Spatz in der Hand. Das Opfer sehe an diesem Punkt jedenfalls die Chance, mit dem Vorfall abzuschließen. „Ob er das schafft, wissen wir nicht, ich habe da meine Bedenken.“