Er will an jenem Abend etwa 15 Flaschen Bier getrunken haben, dazu eine viertel Flasche Jägermeister, außerdem Cannabis und etwas Kokain konsumiert haben. Der 23-Jährige soll an Dreikönig 2024 ein Entführungskommando zu jenem Gartenhaus in einem verwilderten Garten in Kaltental geführt haben, in dem das Opfer nachts gefesselt und gefoltert wurde. Allerdings lässt sich so etwas auch nüchtern nachrechnen. Eine Sachverständige rechnet vor Gericht vor, dass der junge Mann, glaubt man seinen Angaben, zur Tatzeit 6,67 Promille im Blut gehabt haben müsste.
Warum haben alle bei der Strafaktion mitgemacht?
Seit Anfang Dezember müssen sich vier Angeklagte im Alter zwischen 20 und 27 Jahren vor der 4. Jugendstrafkammer des Stuttgarter Landgerichts verantworten – unter anderem wegen erpresserischen Menschenraubs, Freiheitsberaubung, schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung. Sie sollen in der Nacht zum 6. Januar 2024 einen 20-Jährigen zunächst nahe dem Bahnhof in Stuttgart-Vaihingen bedroht und drangsaliert, dann in eine Gartenhütte nahe der Buswendeschleife Waldeck in Kaltental entführt, gefesselt und gefoltert haben. Das Opfer, dem die Täter den Diebstahl von Marihuana im Wert von mehr als 50 000 Euro vorwarfen, konnte sich später nach einem vierstündigen Martyrium verletzt selbst befreien.
Auftraggeber soll ein 27-Jähriger aus Vaihingen gewesen sein. Warum die anderen bei der Strafaktion mitgemacht haben, ist nach bisher sechs Verhandlungstagen nicht so richtig klar geworden. Die Vorsitzende Richterin Verena Alexander hört vor allem eines: Die ledigen und überwiegend berufslosen Männer sind von Jugend an hochgradig alkohol- und drogenabhängig. Anders sei diese Tat nicht zu erklären, sagt der weitgehend geständige 27-Jährige.
10,1 Promille – eher ein Fantasiewert
Für das Gericht geht es daher auch um die Frage einer Einweisung in eine Entziehungsanstalt. Auch die anderen Angeklagten haben der Gutachterin reichlichen Alkoholkonsum in der Tatnacht aufgetischt. Verminderte Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit kann die Schuld mindern. Auch da kommen abenteuerliche Werte heraus: Ein 24-Jähriger, der zum Treffen gelockt haben soll, müsste bei so viel Whisky und Whisky-Cola rechnerisch auf 10,1 Promille gekommen sein und ein 20-Jähriger mit Wodka und Jägermeister auf 6,14 Promille. „Diese Promillewerte überleben die wenigsten“, sagt Richterin Alexander. Die Gutachterin nimmt also im Zweifel einen Vollrausch mit mehr als drei Promille an. Freilich: So wie die Angeklagten gehandelt hatten, gebe es keine Hinweise auf eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit oder ein kognitives Versagen. Allenfalls könne von einer verminderten Impulskontrolle die Rede sein.
Auch bei Mutter und Großmutter randaliert
Der 23-Jährige, der die abgelegene Gartenhütte ins Spiel gebracht haben soll, die dann zur Folterkammer wurde, soll als Scheidungskind schwer erziehbar gewesen sein und später als junger Mann bei Mutter und Großmutter betrunken randaliert haben – bis hin zu einem Annäherungsverbot 2023. Die Lebensgeschichte, die der Angeklagte dem Gericht nicht erzählen wollte, findet sich in den Protokollen der Gutachterin wieder. Ein trinkender und gewalttätiger Vater, mehrere Ausbildungen, die vorzeitig abgebrochen wurden, und Wohngemeinschaften, die nach Streits im Suff genug hatten und ihn rauswarfen. Immer wieder war er wohnsitzlos – was auch den Geheimtipp der Hütte in Kaltental erklären würde. Mitte Februar dürfte ein Urteil zu erwarten sein.