Beim Remsecker Straßenfest wurden im Sommer 2018 vier Kinder verletzt, als sie mit der Gondel eines Fahrgeschäfts abstürzten. Dessen Betreiber standen nun vor dem Amtsgericht – und kamen mit geringen Strafen davon. Die Opferfamilien sind wütend.

Remseck - Aufgebracht steht der Mann mit den grauen Haarstoppeln im Flur des Ludwigsburger Amtsgericht. Auf ihn gerichtet sind mehrere Kameras und Mikrofone. Wütend sei er über das, was gerade im Saal D geschehen ist, sagt er den versammelten Journalisten: „Irgendwer hat ja Schuld.“ Schuld daran, dass sein Sohn im vergangenen Jahr beim Absturz einer Karussellgondel in Remseck verletzt wurde und mehrere Tage im Krankenhaus behandelt werden musste. Schuld daran, dass das Kind bis heute unter den Folgen des Unfalls leidet – und vor Gericht in Tränen ausbricht, wenn es davon berichten soll. Schuld daran, dass das Karussell auf dem Neckarremser Straßenfest ohne gültige Genehmigung aufgebaut wurde.

 

Großer Medienrummel im Amtsgericht

Doch nach Ansicht des Amtsgericht trägt diese Verantwortung keiner der beiden Männer, die am Mittwoch auf der Anklagebank sitzen, in größerem Ausmaß. Das Verfahren gegen einen 37-jährigen Schausteller aus Murrhardt stellte die Richterin ein. Den anderen, einen 48-Jährigen aus Kirchberg (beide Rems-Murr-Kreis), verurteilte sie zu einer Verwarnung und drohte eine Geldstrafe an, sollte er sich Weiteres zuschulden kommen lassen.

Klar waren vor der Verhandlung nur wenige Fakten: Am ersten Tag des Straßenfestes im vergangenen Juli, wenige Minuten nach dem Start, stürzte eine Gondel des Fahrgeschäfts „Crazy fruits“ ab. Vier Kinder, damals zwischen zehn und elf Jahre alt, wurden dabei verletzt. Von Schädelprellungen und Bauchquetschungen ist in medizinischen Unterlagen die Rede. Die Ursache für den Unfall war schnell gefunden: Das Karussell war nicht richtig zusammengebaut, ein Verbindungsteil fehlte.

Beide Angeklagte schweigen vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft hatte den beiden Angeklagten deshalb schwere Vorwürfe gemacht: Gemeinsam sollen sie die Papiere für das Fahrgeschäft gefälscht haben, damit die Stadt Remseck ihnen, wie geschehen, erlaubt, das Karussell aufzustellen. Der Ältere der beiden soll dann beim Aufbau nicht besonders sorgfältig gewesen sein, sodass das Sicherungsteil letztlich fehlte – und die Gondel abstürzen konnte.

Zu beiden Anklagepunkten gaben sich die Männer vor Gericht schweigsam, über ihre Verteidiger ließen sie ausrichten, dass sie von den gefälschten Papieren nichts gewusst hätten – und sie die Dokumente schon gar nicht selber gefälscht hätten. Der 48-Jährige entschuldigte sich bei den Familien der Opfer, aber er habe das Fahrgeschäft „gewissenhaft aufgebaut“.

Offen blieb die Frage, wer dann die Dokumente des Tüv Nord fälschte – denn daran, dass sie nicht echt sind, gibt es keine Zweifel. So legten die Angeklagten bei der Stadt nicht das originale Prüfbuch für das Karussell vor, sie schickten lediglich ein digitales Bild, wonach eine Genehmigung bis Ende 2018 vom Tüv verlängert worden war. Das Problem: Der angebliche Gutachter, der das Papier unterschrieben haben soll, arbeitet seit 2014 nicht mehr für den Tüv. Auch sonst war die Fälschung wohl in einigen Punkten erkennbar. „Der Tüv Nord kennt dieses Fahrgeschäft gar nicht, an den Dokumenten war alles gefälscht“, sagte ein Zeuge aus dem Unternehmen.

Karussell offenbar schon 40 Jahre alt

Offenkundig war die Fälschung aber nicht so schlecht, als dass die Stadtverwaltung in Remseck darüber gestolpert wäre. Er habe die Echtheit jedenfalls nicht bezweifelt, sagte ein Mitarbeiter des Baurechtsamts. Er gab aber zu, nicht jeden Baustein des Bilddokuments gecheckt zu haben. Die Staatsanwaltschaft kündigte an, zu prüfen, ob die Stadt sich deshalb strafbar gemacht hat – ebenso zahlreiche weitere Behörden, die in den vergangenen Jahren erlaubt haben, dass das Karussell auf Jahrmärkten im ganzen Südwesten aufgebaut wurde. Vermutlich hätte das Fahrgeschäft nie in Deutschland kreiseln dürfen, weil wichtige Papiere seit Längerem fehlen. Laut eines Sachverständigen wurde das Karussell 1979 in Spanien gebaut und kam über die Schweiz ins Land. Schon damals fehlten offenbar Dokumente, die für einen Betrieb unerlässlich gewesen wären.

Der Verteidiger des 48-Jährigen, Markus Leonhardt, erklärte: „Staatliches Versagen wird auf meinen Mandanten abgewälzt. Keine der Baubehörden hat ihren Job gemacht.“ Das „Ding hätte niemals für den Aufbau zugelassen werden dürfen“.

Die Staatsanwaltschaft forderte eine deutlich höhere Strafe

Weil letztlich nicht zu beweisen war, ob die beiden Angeklagten selbst die Papiere für das Karussell gefälscht haben, wurde das Verfahren gegen den 37-Jährigen eingestellt, unter der Maßgabe, dass er 1000 Euro Schmerzensgeld an die Opferfamilien zahlt. Das Doppelte muss der 48-Jährige überweisen, er wurde bezüglich der Fälschungen freigesprochen. Lediglich für den schlampigen Aufbau des Karussell kassierte er die Verwarnung. Ihn treffe, trotz des fehlenden Bauteils, nur eine geringe Schuld, sagte die Richterin – und löste damit die Wut der Opferfamilien aus.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Bewährungsstrafe von einem Jahr gefordert.