Die behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten des Amokläufers Tim K. berufen sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

Regio Desk: Oliver im Masche (che)

Stuttgart - Vier Ärzte und Therapeuten der Kinder- und Jugendpsychiatrie Weinsberg, die den späteren Amokläufer Tim K. etwa ein Jahr vor dem Massaker in Winnenden und Wendlingen behandelt haben, dürfen wegen ihrer beruflichen Schweigepflicht von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Es reiche auch über den Tod eines Patienten hinaus, erklärten die Richter der 7. Strafkammer am Landgericht Stuttgart am Freitag im Prozess gegen den Vater des Amokläufers. Der 53-jährige Angeklagte muss sich dort seit Mitte November wegen eines Waffenrechtverstoßes verantworten. Darüber hinaus ist aber auch eine erneute Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung möglich.

 

Sechs Monate in Behandlung

Der damals 16 Jahre alte Junge soll sich von sich aus von April bis September 2008 in der Weinsberger Psychiatrie behandeln haben lassen und dabei von seinem Hass auf die Welt und von Tötungsfantasien berichtet haben. Die Ärzte und Therapeuten beriefen sich im Prozess aber auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht, um so den „mutmaßlichen Willen des Tim K. zu würdigen.“

Die beiden Verteidiger des Vaters des Amokschützen stellten daraufhin den Antrag, das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte und Therapeuten aufzuheben. Unterstützt wurden sie von allen Anwälten der 40 Nebenkläger. Schließlich habe Tim K. nichts dagegen gehabt, dass seine Eltern bei einigen Behandlungsgesprächen dabei gewesen seien, so der Verteidiger.Die Kammer entschied aber, dass nur Tim K. selbst die Ärzte und Therapeuten aus Weinsberg von deren Schweigepflicht hätte befreien können. Die Nebenkläger zeigten sich enttäuscht: Man habe zu erfahren gehofft, wie es um die Psyche von Tim K. knapp ein halbes Jahr vor dem Massaker bestellt gewesen sei.

Zweigen der Zeugen hat vermutlich geringe Auswirkung

Die Folgen, die sich aus den vier schweigenden Zeugen für den Prozess ergeben, sind vermutlich gering: Denn unabhängig davon, ob die Ärzte und Therapeuten sowie der Vater von Tim K. gewusst haben, dass der Junge psychisch krank gewesen ist, sei eine Verurteilung des Mannes möglich. Dies hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im vergangenen März in seiner Entscheidung über die Aufhebung des ersten Urteils im Prozess vom Februar 2011 betont. Damals war der Vater des Amokläufers wegen fahrlässiger Tötung in 15 und fahrlässiger Körperverletzung in 14 Fällen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden.

Tim K. hatte bei dem Massaker am 11. März 2009 an seiner ehemaligen Albertville-Realschule in Winnenden und in einem Autohaus in Wendlingen mehr als 100 Schuss abgefeuert. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vater vor, dass er die Pistole, mit der der 17-Jährige schoss, lediglich hinter Pullovern versteckt in seinem Kleiderschrank aufbewahrt hatte. Zudem habe der Mann die Munition für die Pistole und für weitere 15 Waffen, die er in einem Tresor gelagert hatte, zumindest zum Teil unsachgemäß gelagert. Als die Polizei am Tag des Amoklaufs nach der Tat die Wohnung der Familie durchsuchte, wurden fast 6000 Patronen sichergestellt – einige davon lagen ungesichert in einer Sporttasche des passionierten Sportschützen.

Wie nun bekannt wurde, muss sich offenbar nicht nur der Vater von Tim K. auf Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderungen der Überlebenden sowie der Angehörigen der Getöteten des Amoklaufs gefasst machen. Die Rede ist von einem Millionenbetrag im zweistelligen Bereich. Allein die Stadt Winnenden nennt wegen des Schulumbaus nach dem Massaker einen Betrag von 14 Millionen Euro. Und wie sich beim Prozess nun herausstellte, soll es auch zivilrechtliche Ansprüche von Betroffenen gegen die Psychiatrie in Weinsberg geben. Die Ärzte waren in ihrem Abschlussbericht über Tim K. zu dem Schluss gekommen, dass von dem Jungen keine Gefährdung ausgehe.

Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Als Zeugen sollen Lehrer der Albervilleschule über Tim K. berichten.