Staatsanwaltschaft und Verteidiger fordern Haft für den Gründer der Eventus-Genossenschaft. Doch sie sehen noch einen indirekt Verantwortlichen für den Millionenbetrug: den zuständigen Prüfungsverband VBW.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Gründer der insolventen Wohnungsgenossenschaft Eventus, Marco T., soll wegen Millionenbetrugs für mehrere Jahre in Haft. Dies haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung zum Ende des seit fast neun Monaten laufenden Prozesses vor dem Landgericht Stuttgart beantragt. Während die Anklagevertreterin eine Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren forderte, plädierten die Anwälte T.s auf ein Strafmaß möglichst nahe bei sechseinhalb Jahren. Auf einen entsprechenden Strafrahmen hatte sich das Gericht vorab mit Staatsanwaltschaft und Verteidigung verständigt. Der teilweise geständige T. soll Anleger mit der Eventus-Genossenschaft und einer frei erfundenen Aktienanleihe um fast sechs Millionen Euro geschädigt haben; dies tue ihm „unendlich leid“, sagte er in seinem Schlusswort. Das Urteil wird an diesem Mittwoch erwartet. Der heute 35-jährige Angeklagte hatte die Eventus-Genossenschaft 2012 gegründet. Den Anlegern versprach er Zinserträge von bis zu achteinhalb Prozent. Den Großteil des Geldes investierte er jedoch nicht, wie angekündigt, in Immobilien, sondern verbrauchte es für private Zwecke oder Werbemaßnahmen. Die Ausschüttungen wurden aus dem Geld weiterer Anleger finanziert, was die Staatsanwaltschaft als Schneeballsystem wertete. Im September 2017 meldete die Genossenschaft Insolvenz an, damals begannen auch die Ermittlungen gegen Marco T.; seither sitzt er in Untersuchungshaft.

 

Versagen des Prüfungsverbandes beklagt

Neben der persönlichen Verantwortung des Eventus-Gründers wurde in den Plädoyers besonders die Rolle des für die Genossenschaft zuständigen Prüfverbandes thematisiert, des Verbandes baden-württembergische Wohnungs- und Immobilienunternehmen (VBW). Dabei bezogen sich die Anklägerin und die Verteidiger auf ein Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Bansbach, welches das Landeswirtschaftsministerium von Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) in Auftrag gegeben hatte. Darin hatte die Ministerin mögliche Versäumnisse der Aufsicht untersuchen lassen. Das von ihr strikt unter Verschluss gehaltene Gutachten wurde in den Prozess eingeführt und dadurch zumindest in den Kernaussagen bekannt. Es bescheinigt dem VBW offenbar gravierende Fehler.

Laut Oberstaatsanwältin Annette Jarke sahen viele Geschädigte, die eine besonders sichere Geldanlage suchten, in dem Prüfungsverband einen Garanten für die Seriosität des Geschäftsmodells. Dabei seien sie jedoch „herb enttäuscht“ worden, denn das Konzept sei von vornherein nicht tragfähig gewesen. Vielmehr habe T. aus Eventus einen „perfekten Selbstbedienungsladen“ gemacht. Auch nach der umfassenden Beweisaufnahme sei es für sie unerklärlich, wie Eventus die Gründungsprüfung durch den Verband überstehen konnte, sagte Jarke. „Vollkommen unbegreiflich“ nannte sie es, weshalb der VBW „der Geldvernichtung nicht viel früher Einhalt geboten hat“. Den Angeklagten charakterisierte die Oberstaatsanwältin als „exzellenten Verkäufer“, aber auch „genialen Lügner“. Er sei mit einer „Skrupellosigkeit, die fassungslos macht“ und hoher krimineller Energie unterwegs gewesen. Auch die Verteidiger attackierten den Prüfungsverband scharf. Der VBW habe „ein Konzept genehmigt, das so nie hätte genehmigt werden dürfen“, sagte der Anwalt Markus Bessler. Wenn die Prüfer ihre Arbeit richtig gemacht hätten, wäre es nie zu dem Betrug gekommen. Auch die außerordentliche Generalversammlung sei viel zu spät einberufen worden. Der Anwalt Hans Steffan sagte, der VBW sei „mindestens fahrlässig“ vorgegangen; auch bedingten Vorsatz schloss er nicht aus. Dies werde noch zu prüfen sein, wenn es um Schadenersatzforderungen gehe. Marco T. hatte mehr als 50 zivilrechtliche Ansprüche von Anlegern in dem Strafprozess anerkannt; bei ihm dürfte jedoch wenig zu holen sein. Daher dürften Geschädigte versuchen, sich an den Verband zu halten. Der VBW äußert sich nicht zum Fall Eventus, hat aber personelle Konsequenzen gezogen. Die Staatsanwaltschaft untersucht derzeit, ob auch gegen Verbandsleute ermittelt werden soll.

Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz?