Ein Afghane soll im Flüchtlingsheim mehrfach auf seine Frau eingestochen haben. Das Opfer musste wiederbelebt und mit einer Notoperation gerettet werden.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Weil im Schönbuch - Es muss im Zimmer ausgesehen haben wie in einem Schlachtraum. Die Klinge des Küchenmessers maß 20 Zentimeter. Der tiefste Stich drang zehn Zentimeter in die Brust ein, nur Millimeter am Herzen vorbei. Es war einer von sechs. Eine Rippe war durchtrennt, die Hand durchschnitten beim Versuch, einen Stich abzuwehren. Der Körper war von Wunden übersät. Die größte klaffte unter der Achselhöhle. Die Frau schleppte sich noch zur Tür, um aufzuschließen, damit der Sicherheitsdienst ins Zimmer kann. Weil die Wachleute hochgerufen hatten, war der Täter durch ein Fenster geflohen.

 

Als der Notarzt ankam, war die Frau gestorben, aber die Wiederbelebung gelang. Das Opfer wurde mit dem Rettungshubschrauber ins Tübinger Klinikum geflogen, notoperiert und ins künstliche Koma versetzt. Nach dem Täter, mutmaßlich der Ehemann, fahndete derweil die Polizei. Ihre Kinder kamen in Obhut. Sie hatten die Tat mitangesehen. Zu Beginn des Angriffs schliefen sie, wie auch ihre Mutter.

Nun sitzt die Frau im Zeugenstand des Saals sechs im Stuttgarter Landgericht, ihr Mann auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Mord vor, begangen am 5. Dezember 2016 in einem Flüchtlinsheim in Weil im Schönbuch, in dem Zimmer, in dem die Familie lebte. Der Vorsitzende Richter Jörg Geiger versucht, die Hintergründe der Tat zu ergründen, was mit deutschem Verständnis schwierig ist. Ein Dolmetscher übersetzt.

Mit 13, 14, villeicht 15 wurde das Opfer mit einem Fremden verheiratet

Die Probleme beginnen mit den Geburtsdaten. Die Zeugin dürfte Anfang 20 sein, der Angeklagte etwa 30 Jahre alt. Beide stammen aus Afghanistan. Dort kümmere sich niemand um Geburtstage, sagt die Frau. 13, 14, vielleicht 15 war sie an dem Tag, an dem sie aus der Schule kam und ihr Bruder ihr erklärte, sie werde heiraten. Ihren künftigen Ehemann hatte sie nie gesehen. Er war ein Geschäftspartner ihres Bruders, wobei das deutsche Wort Geschäftspartner für afghanische Verhältnisse zu hoch gegriffen scheint. Ihr Bruder verkaufte in seinem Laden Getreide, ihr künftiger Mann im Geschäft seines Vaters Gemüse. Etwa 350 Euro habe er für sie bezahlt.

Mutmaßlich hat Eifersucht bei dieser Tat eine Rolle gespielt. Der Angeklagte hat gestanden, mit einer Erklärung, die sein Verteidiger Markus Bessler verlesen hat. Sie endet mit einer Entschuldigung. Sie beginnt mit der Behauptung, seine Frau habe sich nicht mehr um die Familie gekümmert. „Ich habe vermutet, dass sie einen Freund hat. Ich habe das in jener Nacht nicht mehr verkraftet.“ So hat es Bessler verlesen. Geiger, der Richter, will es genau wissen: „Hatten Sie eine intime Beziehung?“, fragt er die Frau. Die Antwort ist ein Nein: ein Kuss, ja, aber kein Sex.

Ihre Ehe stellen Frau und Mann völlig unterschiedlich dar

Müßig zu betonen, dass diese Ehe zerrüttet ist. Sie hätten stets ohne Streit gelebt, bis sie nach Deutschland kamen. So erzählt es der Angeklagte. „Wir hatten ein gutes Leben“, sagt er, in Afghanistan und im Iran, wo er immer wieder versuchte, Geld zu verdienen, mal mit, mal ohne seine Frau und später für die beiden Kinder. Die Entscheidung, nach Europa zu fliehen, hätten sie beide aus Furcht vor den Taliban gefällt.

„Er dachte, in Europa liegt das Geld auf der Straße“, mit den Taliban habe die Flucht nichts zu tun. Das sagt seine Frau. Ihre Ehe beschreibt sie wörtlich als Sklaventum mit täglichen Schlägen und Sex unter Zwang. Ihr Mann und dessen Familie hätten darüber gewacht, dass sie ohne Begleitung nicht das Haus verließ. Im Streit habe er ihr Rattengift in den Mund gestopft und Wasser dazu geleert. „In Deutschland habe ich gewusst, dass es Gesetze gibt und ich mich verteidigen kann“, sagt sie. Wie das Gesetz über ihren Mann urteilt, soll nach fünf Prozesstagen verkündet werden.