Über fünf Jahre hinweg soll sich ein 57-Jähriger aus Korntal-Münchingen an seinem autistischen Kind vergangen haben. Nun ist er deshalb vor dem Landgericht angeklagt. Eine entscheidende Rolle in dem Fall spielt das umstrittene Stuttgarter Gospelforum.

Korntal-Münchingen - Das Leben war die Hölle“, lässt der Mann mit den wenigen grauen Haaren und der auffälligen Halbglatze über seinen Verteidiger ausrichten. Unklar ist, ob er damit sein eigenes meint, das seiner Familie – oder beide. Klar scheint: Der Mann trug mutmaßlich einen wesentlichen Teil zu dieser Hölle bei.

 

Über fünf Jahre hinweg soll der 57-Jährige aus Korntal-Münchingen immer wieder seinen schwer entwicklungsgestörten Sohn sexuell missbraucht haben. Erst im April 2017 endete das Martyrium, heißt es in der Anklage. Bis dahin habe der Mann sich alle fünf bis sechs Wochen in der Wohnung der Familie an dem heute 24-Jährigen vergangen.

Der Sohn leidet seit seiner Geburt an einem frühkindlichen Autismus, weshalb er nicht spricht, kaum mit anderen Menschen kommuniziert und nicht in der Lage ist, eigenständig zu leben.

Das mutmaßliche Opfer spricht nicht

Während er tagsüber in einer Leonberger Einrichtung betreut wurde, lebte er trotz der massigen Einschränkungen in der Wohnung der Familie. Regelmäßig habe der Vater seinen Sohn waschen müssen, wollen die Ermittler herausgefunden haben – und genau dabei sei es zum regelmäßigen Missbrauch gekommen. „Der Angeklagte wusste, dass sein Sohn das nicht wollte“, sagte die Staatsanwältin. Ihr Vorwurf lautet daher nicht nur auf sexuellen Missbrauch, sondern auch auf Missbrauch eines Schutzbefohlenen und einer widerstandsunfähigen Person.

Zum Auftakt des Prozesses gegen ihn vor dem Stuttgarter Landgericht wollte der Korntal-Münchinger nichts zu den Vorwürfen sagen – sein Verteidiger Achim Wizemann erklärte, dass sie „nicht zutreffen würden.“ Sein Mandant habe seinen Sohn „nicht sexuell missbraucht“.

Die Aussage kommt insofern überraschend, als dass der Angeklagte, der in einem Stuttgarter Krankenhaus angestellt ist, selbst die Ermittlungen in Gang brachte – weil er sich bei der Polizei anzeigte. Im vergangenen Sommer meldete sich der Angeklagte telefonisch im Ludwigsburger Polizeipräsidium und sagte, dass er seinen Sohn missbrauchen würde. Im Laufe der Ermittlungen schwächte der 57-Jährige das aber immer weiter ab, berichteten Zeugen am Dienstag – bis er nun vor Gericht die Taten komplett bestritt.

Erst zeigt der Mann sich selbst an, dann streitet er die Tat ab

Noch in einer Vernehmung im vergangenen Juli habe der Familienvater zugegeben, seinen Sohn zu missbrauchen, schilderte die leitenden Kommissarin. Das Gespräch damals wurde auch aufgezeichnet, womit der Mann laut der Ermittlerin einverstanden gewesen ist. Herauszufinden, warum er seine Meinung derart radikal geändert hat, ist nun die schwierige Aufgabe der Kammer unter dem Vorsitz von Ulrich Tormählen.

Eine entscheidende Rolle dürfte dabei das Gospelforum spielen, eine umstrittene Freikirche aus dem Stuttgarter Norden. Wie Zeugen aussagten, erfuhren Mitglieder der Gemeinde über die Frau des Angeklagten von dessen mutmaßlichen Taten. Sogar der Vorstand des Forums wurde eingeschaltet, es fand eine mehr oder weniger öffentliche Infoveranstaltung mit rund 20 Teilnehmern statt – aber ohne den 57-Jährigen.

Der sei vor die Wahl gestellt worden, sich so schnell wie möglich selbst anzuzeigen, andernfalls werde das Gospelforum das übernehmen, sagte die Leiterin des örtlichen Hauskreises, in dem die Familie Mitglied war. Bis zum Zeitpunkt, als die Mutter die Taten öffentlich machte, sei keinem in der Gemeinde etwas aufgefallen. „Ich hatte von ihm das Bild eines liebevollen Vaters, der sich aufopferungsvoll um seinen Sohn kümmert.“

„Massiver Druck“ durch das Gospelforum

Laut der Ermittler spielt der Glaube ohnehin eine große Rolle im Leben des Angeklagten. So sagte er in einer Vernehmung bei der Polizei, von „Mächten gesteuert zu werden“. Später dann behauptete er, für seine Taten „Befreiung“ durch die Kirche erhalten zu haben.

Nachdem der Fall innerhalb des Gospelforums die Runde gemacht hatte, fühlte sich der Angeklagte „massiv unter Druck gesetzt“. Inzwischen ist er, genau wie seine übrige Familie, ausgetreten.

Ein Urteil soll Ende des Monats fallen.