Eine 25-Jährige ist wegen versuchten Mordes angeklagt. Ihre Tat wurde von Kameras aufgenommen. Auf den Videosequenzen ist zu sehen, wie sie mit ihrem stark betrunkenen Opfer streitet und später auf dieses einsticht.

Esslingen - Die junge Frau kann sich an den heimtückischen Angriff am 10. April 2018 nicht mehr erinnern. Die heute 23-Jährige hatte gut zwei Promille Alkohol im Blut, als sie gegen 2.30 Uhr am Bahnhof in Esslingen von einer heute 25 Jahre alten Frau mit einer Schere traktiert wurde. Diese muss sich seit diesem Montag wegen versuchten Mordes vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart verantworten. Dass sie es war, die die Tat begangen hat, ist trotz der Gedächtnislücke des Opfers eindeutig. Denn die Tat selbst und die Geschehnisse unmittelbar davor wurden von drei am Bahnhof installierten Kameras aufgenommen.

 

Zudem ist es ein glücklicher Zufall gewesen, dass sich zwei Polizeibeamte in der direkten Nähe befanden und schnell einschritten, als die damals 23-jährige Täterin ihre Kontrahentin an den Haaren zu Boden riss und auf ihrem Opfer sitzend mindestens fünfmal mit den 6,5 Zentimeter langen Scherenklingen auf dieses einstach. Dank ihrer Gegenwehr und der raschen Hilfe kam die junge Frau mit kleineren, oberflächlichen Stichverletzungen im Bereich des Dekolletés davon.

Das Opfer leidet unter psychischen Problemen

Weit schwerer wiegen ihre psychischen Probleme seit der Tat. Sie leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen, weshalb sie sich bis heute in Behandlung befinde. Sie habe keinerlei Erinnerung an die Tat. Seither versuche sie aber, mit „den Bildern, die ich mir gemacht habe, fertig zu werden“. Die im Gericht gezeigten Videosequenzen hat sie am ersten Prozesstag noch nicht angeschaut. Sie wolle das aber unbedingt nachholen und sich der bis heute ihr Leben bestimmenden Angst stellen.

Die Angeklagte ist ebenfalls psychisch krank – schon seit ihrer frühen Jugend. Bei ihr diagnostizierten Ärzte eine instabile Persönlichkeitsstörung, Depressionen sowie eine Borderline-Störung, was bei ihr unter anderem Verfolgungswahn und Suizidgedanken auslöse. Außerdem hat sie eine lange und teils heftige Alkohol- und Drogenkarriere, begleitet von diversen Klinikaufenthalten und Behandlungen, hinter sich. Sie sei schon als 13-Jährige in der Schule massiv gemobbt worden. Diese deprimierende Erfahrung verbinde sie unter anderem mit dem Bahnhof in Esslingen, wo ihr die Peinigerinnen aus ihrer Klasse einst regelmäßig aufgelauert hätten.

An jenem frühen Morgen des 10. April vergangenen Jahres am Bahnhof in Esslingen war sie lediglich angetrunken, als sie und ihre beiden Begleiter zufällig auf die 23-Jährige und deren Freundin trafen. Letztere erachtete die entgegen kommenden Passanten – für alle Beteiligten gut vernehmbar – als „ein wenig asozial“ und bat ihre stark betrunkene Freundin, die Straßenseite zu wechseln. Nun ging es eine ganze Weile hin und her, wie die Videos aus den Überwachungskameras dokumentieren. Man beschimpfte sich offenbar, ging wieder aufeinander zu, das spätere Opfer küsste – vom Alkohol enthemmt – sogar einen Begleiter der Angeklagten. Selbst die beiden Polizeibeamten mischten sich kurz in das für sie wohl alltägliche Geplänkel ein, das entstehen kann, wenn zwei Gruppen vom Alkohol beseelter junger Leute aufeinandertreffen.

Zwei Polizisten verhindern Schlimmeres

Welch dramatische Wende das Geschehen nehmen würde, konnten die Beamten freilich nicht wissen. Denn plötzlich holte die Angeklagte die Schere aus ihrer Tasche, brachte ihr Opfer zu Boden und malträtierte es. Zu der Tat selbst will sich die 25-Jährige am ersten Verhandlungstag noch nicht einlassen. Sie befindet sich seit Juli 2018 auf freiem Fuß, nachdem sie davor rund zwei Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte. Seit ihrer Entlassung wurde sie in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen behandelt. Der Prozess wird fortgesetzt.