Der Radprofi Stefan Schumacher steht vor dem Stuttgarter Landgericht. Beim Prozess geht es nicht darum, ob er gedopt hat, sondern darum, was sein ehemaliger Teamchef Hans-Michael Holczer davon wusste.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Am Ende ist Stefan Schumacher einfach nur fertig. Der Radprofi aus Nürtingen steht in Saal 18 im Untergeschoss des Gebäudes in der Olgastraße 2, es ist kurz nach 16 Uhr. Geschafft sieht er aus. Geschafft hat er es nicht. Erst der Auftakt des Betrugsprozesses vor dem Landgericht Stuttgart liegt hinter ihm. Sieben Stunden Rede und Antwort. Wie eine schwere Bergetappe sei es gewesen. Tag eins ist überstanden, einige werden folgen. Es geht in dem Verfahren um 151 462,50 Euro Gehalt, und um die Wahrheit.

 

Der Vorwurf ist bekannt: Schumacher habe bei der Tour de France gegenüber seinem Teamchef Hans-Michael Holczer Doping geleugnet und sich damit einen „rechtswidrigen Vermögensvorteil“ verschafft, wie der Staatsanwalt Peter Holzwarth sagt. Die Verteidigung sagt, dass kein Betrug vorliegen könne, da Holczer ja gewusst habe, dass er gedopt habe.

So weit, so schlecht. Der sportrechtliche Betrug ist längst festgestellt und abgeurteilt worden, die Strafe verbüßt. Es ist nach den Aussagen von Schumacher im „Spiegel“ und in der StZ auch keine Frage mehr, ob er gedopt hat. Vor Gericht wiederholt er seine Geschichte, die da lautet, dass er eben das gemacht hat, was ein Großteil auch gemacht hat. Gedopt nämlich, weil das System so war und es dazugehörte. Viel Neues gibt es zunächst nicht zu erfahren.

Sind die Opfer auch Täter?

Der Fall ist komplex. Wer ist Opfer? Wer ist Täter? Oder sind die Opfer auch Täter? Am 18. April geht der Prozess weiter, dann wird Hans-Michael Holczer sprechen, es wird der Tag, an dem die andere Wahrheit erzählt werden wird – die des Herrenbergers. Der ist Zeuge, doch er ist mehr als das. In gewisser Weise läuft ein Schattenprozess, ohne offizielle Anklage. Hans-Michael Holczer hat alles gewusst. Sagt die Verteidigung und führt diverse Indizien und nicht zuletzt den desaströsen Zustand der Branche an. Aus der Luft gegriffen. Sagt Holczer, der seine Sicht im Detail vor Gericht erläutern will. Beweise? Gibt es nicht.

Hat Holczer gewusst, dass Sie dopen? Das wird Schumacher gefragt. „Er ist mit Sicherheit klar davon ausgegangen, dass ich dope“, sagt Schumacher. Das Problem: niemand hat offen über Doping gesprochen, weil man sich schützen wollte, auch wenn es jeder wusste – aber wenn man nie offen gesprochen hat, woher weiß man, dass es der andere wusste? „Wenn man 15 Jahre im Radsport war, braucht man darüber nicht zu reden“, sagt er in Bezug auf Holczers lange Erfahrung im Radsport. Nonverbale Dopingkommunikation, oder besser: sie fand laut Schumacher zwischen den Zeilen statt. Sein Strafverteidiger Dieter Rössner nennt die Branche ein „Kartell des Schweigens“, eine kriminelle Vereinigung auf zwei Rädern, für die dieses Vorgehen ganz typisch sei.

Schumacher sagt viel, meist ruhig und souverän, später etwas ungehalten, aber er sagt nicht alles. Namen nennt er trotz mehrfacher Nachfrage des Richters und Staatsanwaltes nicht. Er benennt nicht die Ärzte, ohne die Doping nicht möglich gewesen wäre. Er wolle sie nicht denunzieren. „Ich trage die Verantwortung, ich habe gefragt, sie haben mir geholfen. Mich hat niemand gezwungen.“ Sein Ehrgefühl verbiete es. Das System verfolgt ihn bis in Saal 18. Und an den Cola-Automaten.

Die Ärzte werden bisher nicht belangt

Dort startet Werner Franke ein zweites Tribunal. Der Antidopingvorkämpfer, als Zuhörer anwesend, passt Schumacher in einer Pause ab. Ein bisschen zerknautscht sieht der Professor aus Heidelberg aus, und er ist emotional geladen. Namen. Er will Namen. „Nennen Sie den Täter“, ruft er. Franke geht es nicht um Schumacher, das ging es ihm noch nie. Für den Antidopingexperten sind die Athleten nur das Ende einer Kette, arme Schweine, würde er sagen. Franke will die Ärzte. So war es in Freiburg mit dem Team Telekom, so ist es bei Gerolsteiner. Dort hat er Teamarzt Mark Schmidt verklagt. „Der Arzt hat es Ihnen gegeben, gegen jede ärztliche Ethik“, schnaubt er. Die Weißkittel sind in Deutschland bisher nicht belangt worden, keinem der an Doping beteiligten Ärzte der Sportmedizin der Uni Freiburg wurde etwa die Approbation entzogen. Stehen hier gar die Falschen vor Gericht?

Spätestens am 4. Juni soll das Urteil fallen. Stefan Schumachers zweiter Anwalt, Michael Lehner, sagt: „Es gibt ja noch Zeugen. Ich denke, bis zur Urteilsverkündung werden wir Namen wissen.“