In der ganzen Republik wird heftig gestritten, wenn ein Angehöriger gestorben ist. Oft landen solche Fälle vor Gericht – wie in Stuttgart. Dort endete ein Rechtsstreit mit einer Überraschung.

Stuttgart - Eine ältere Dame legt in ihrem Testament fest, sie wolle, falls sie vor ihrem Mann sterbe, in Stuttgart bestattet werden. So kommt es auch. Doch die Tochter lässt die sterblichen Überreste der Mutter in eine andere Stadt umbetten. Der Sohn klagt – und verliert. Der im Testament niedergelegte letzte Wille der Mutter spiele keine Rolle, so das Gericht.

 

In der ganzen Republik streiten Hinterbliebene häufig vor Gericht über die letzte Ruhestätte der Eltern oder anderer Angehöriger. „Das unwürdige Zerren am Leichnam“ nennt dies eine auf Erbrecht spezialisierte Anwaltskanzlei aus Nordrhein-Westfalen. Die Entscheidungen der Gerichte sind zum Teil schwer verständlich – wie auch im vorliegenden Stuttgarter Fall.

Den Glauben an die Justiz verloren

„Ich habe meinen Glauben an die Justiz verloren“, sagt Stefan B. (Name der Redaktion bekannt). „Ist denn ein Testament nichts wert?“, fragt sich der Geschäftsmann. Er hat sich mit seiner Schwester einen für beide Seiten schmerzlichen auch gerichtlichen Streit um die letzte Ruhestätte der Mutter geliefert. Stefan B. hat verloren – durch zwei Instanzen.

Die Eltern sowie der Bruder der Mutter lebten in Stuttgart. „Sie hatten alle ihre sozialen Beziehungen hier“, so Stefan B. Im September 2003 legten die Eheleute im gemeinsamen Testament fest: „Wir wünschen Feuerbestattung, wobei der Erstversterbende in Stuttgart (…) zu bestatten ist.“ Der später Versterbende sei nach Maßgabe der gemeinsamen Tochter zu bestatten. Die Eheleute kauften 2005 eine Familiengrabstätte auf einem Stuttgarter Friedhof, der Pachtvertrag läuft bis 2025. Im Juni 2012 starb die Mutter. Da sie die Erstversterbende war, wurde sie wie im Testament festgelegt auf dem Friedhof in besagtem Familiengrab beigesetzt. Das sollte indes nicht die letzte Ruhestätte der 79-Jährigen sein.

Der Streit geht vors Landgericht

Im Jahr 2013 starb der Vater. Die Tochter ließ ihn – wie im Testament festgeschrieben - bei sich in Niedersachsen beisetzen. In einem Gespräch teilte sie ihrem Bruder mit, sie wolle auch die sterblichen Überreste der Mutter zu sich holen. „Eine Zustimmung zur Umbettung von Mama werde ich dir nicht geben“, habe Stefan B. seiner Schwester mitgeteilt. Denn die Mutter habe in Stuttgart beigesetzt werden wollen. Die Schwester holte sich dennoch die Genehmigung vom Friedhofsamt Stuttgart und ließ die Urne der Mutter abholen.

Ihre Mutter habe mehrfach bekundet, sie wolle dort, wo die Tochter wohnt, ihre letzte Ruhe finden, trägt die Schwester von Stefan B. vor. Zudem gibt es eine Vorsorgevollmacht vom September 2003, die die Mutter der Tochter erteilt hatte. Diese Vollmacht datiert von vor dem Testament und wurde 2010 von der Mutter bestätigt. Und diese Vollmacht und eben nicht das Testament ist der zentrale Punkt in der juristischen Auseinandersetzung.

Das Landgericht Stuttgart hat das Ansinnen von Stefan B., die Urne seiner Mutter wieder nach Stuttgart zu überführen, abgelehnt. In seinem Urteil vom April 2016 stellt das Gericht fest, die Schwester von Stefan B. habe mittels der Vorsorgevollmacht das Totenfürsorgerecht für die Mutter übertragen bekommen. Aus der Vorsorgevollmacht sei auf den Willen der Mutter zu schließen, die Tochter sei mit der Bestimmung der endgültigen Ruhestätte zu betrauen. Testament hin oder her.

Vier Schwestern im Clinch

Das Thema Umbettung beschäftigt immer wieder die Gerichte. Rein rechtlich scheint alles klar geregelt zu sein. Es gibt das Totenfürsorgerecht, dem oft allerdings die Totenruhe entgegensteht. In einem Ulmer Fall stritten vier Schwestern, wo die Urnen der Eltern beigesetzt werden sollten. Die Eltern waren, so deren Wunsch, in ihrem Wohnort beigesetzt worden. Eine Schwester veranlasste die Umbettung beider Urnen auf einen Friedhof in ihrem 24 Kilometer entfernten Wohnort. Die anderen Schwestern klagten – mit Erfolg. Nicht einmal gemeinschaftlich hätten die Schwestern die Umbettung veranlassen können, so das Gericht im Januar 2014. Der Wille der Verstorbenen wiege schwerer als der Wille der Kinder. Die beklagte Frau musste die Rückbettung vornehmen lassen und ihren Schwestern je 500 Euro Schmerzensgeld bezahlen.

In einem anderen Fall wurde einem Sohn gar verboten, den Leichnam seines Vaters ein letztes Mal zu sehen. Die zweite Ehefrau des Verstorbenen hatte das Totenfürsorgerecht inne. Sie verbot dem Sohn schlicht, sich vom Vater zu verabschieden. Der Tote wurde beigesetzt, ohne dass ihn der Sohn nochmals sehen konnte. Der Sohn verklagte seine Stiefmutter auf Schmerzensgeld – zu Unrecht, urteilte aber das Landgericht Bielefeld. Da der Mann vor seinem Tod nichts geäußert hatte, könne in diesem Fall die zweite Ehefrau die Entscheidungen treffen, so das Gericht. Der Sohn gehe fehl in der Annahme, er und seine Stiefmutter seien gleichberechtigt. Nur die Frau dürfe allein über den Umgang mit dem Leichnam entscheiden. So sehe es das Totenfürsorgerecht vor.

Stuttgarter Fall vor dem Oberlandesgericht

Totenruhe vor Totenfürsorgerecht: In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Umbettung einer Leiche vor Ablauf der Ruhefrist – in Baden-Württemberg 15 Jahre bei Erdbestattungen - nur aus ganz besonderen Gründen beansprucht werden kann. So wollte eine Frau aus Bayern ihre tote Mutter bei ihrem Umzug zum neuen 270 Kilometer entfernten Wohnort „mitnehmen“. Das Verwaltungsgericht Ansbach lehnte die eingeklagte Umbettung im August 2016 ab.

Totenruhe vor Totenfürsorgerecht? Nicht im Stuttgarter Fall. Stefan B. wollte das Urteil des Landgerichts nicht hinnehmen und ging in Berufung vors Oberlandesgericht Stuttgart. „Ich habe mehr als 10 000 Euro Anwalts- und Gerichtskosten ausgegeben – und das nur, um den letzten Willen meiner Mutter zu erfüllen“, sagt Stefan B. Doch der 19. Zivilsenat bestätigte das Landgerichtsurteil. Die sterblichen Überreste seiner Mutter bleiben in Niedersachsen (Aktenzeichen: 19 U68/16).