Im zweiten Prozess um die Betrugsfirma EN Storage ist zur Halbzeit keine Verständigung in Sicht.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Der Boxclub war eine Art Außenstelle der Vertriebsabteilung für Wertpapiere. Selbstverständlich duzten sich die Sportfreunde. Lutz Beier, der einstige Finanz-Geschäftsführer von EN Storage, trainierte dort regelmäßig, Edvin Novalic, der einstige technische Geschäftsführer der Herrenberger Betrugsfirma allerdings nicht. „Der Edi hat es mal versucht“, sagt ein Zeuge vor dem Landgericht Stuttgart, „es war wohl nichts für ihn“.

 

Der Zeuge ist 60 Jahre alt, er steigt noch immer in den Ring. Über seine Geldanlage habe er immer mal wieder mit dem Lutz gesprochen – vor oder nach dem Training. Da war er nicht der einzige im Boxclub. Das letzte Gesprächsthema war, dass gemunkelt wurde, der Edi habe sich selbst wegen Betrugs angezeigt, die Geldanlage sei dahin. Der boxende Bauleiter hatte 100 000 Euro in Wertpapiere von EN Storage angelegt. Wie viel davon verloren ist „weiß ich nicht“, sagt er, „die Kohle kommt eh nicht wieder“.

Das erste Urteil lautete auf knapp acht Jahre Haft

Novalic ist in einem ersten Prozess wegen Betrugs zu knapp acht Jahren Haft verurteilt worden. Er hatte gestanden, gemeinsam mit Beier ein Schneeballsystem aufgebaut zu haben. 93 Millionen Euro hatten Anleger EN Storage anvertraut, angeblich um Server zu kaufen und zu vermieten. Nur knapp eine halbe Million Euro fand der Insolvenzverwalter auf den Firmenkonten. Der Prozess gegen Beier zieht sich mindestens bis zum Jahresende hin. Er leugnet, auch nur geahnt zu haben, dass die Firma nichts als ein Scheinkonstrukt war. Novalic sei für den Betrug allein verantwortlich.

Die Zeugen in diesem Verfahren sind so vielfältig wie das Leben. Der Boxfreund kommt in Jeans und Schlabber-Shirt. Vor ihm hat ein Mann im grauen Anzug ausgesagt, der ebenfalls 100 000 Euro investiert hatte. Beiers Putzfrau und seine Reitlehrerin saßen auch schon im Zeugenstand. Mitarbeiter haben vom damaligen Betriebsalltag erzählt, Geprellte davon, dass sie mit dem Argument gelockt wurden, Daimler sei als Großkunde geworben worden. Vermittler von Geldanlagen haben beteuert, dass ihnen die Wertpapiere unverdächtig erschienen. Die Hälfte des Prozesses ist vorbei, nach nunmehr 19 Verhandlungstagen. Die Geschichten gleichen sich. Ein paar Dauergäste in den Zuhörerreihen protokollieren sie trotzdem allesamt – gleichsam als eine Art der Rache für ihre Verluste.

Der zweite Geschäftsführer will seine Unschuld beweisen

Auch ihnen bleibt rätselhaft, wie Beiers drei Rechtsanwälte seine Unschuld belegen wollen, wie ein Geschäftsführer weder bemerkt haben soll, dass Millionengeschäfte im Ausland in bar abgewickelt wurden, noch, dass die Einnahmen der Firma fast ausschließlich aus Anlegergeld bestanden. Ein Mann sitzt bereits zum zweiten Mal im Zeugenstand. Beier hatte ihn im letzten Geschäftsjahr – 2016 – als Finanzfachmann engagiert. Vorwiegend sollte er Banken von der Kreditwürdigkeit von EN Storage überzeugen, was misslang. Nebenbei übersetzte er Geschäftspost ins Ausland ins Englische.

Hanno Kiesel, der Wortführer der Verteidiger, will von ihm wissen „wie das damals war, nicht in der Rückschau, sondern aus damaliger Sicht“. Die Rückschau wäre absurd, weil über Geschäfte gestritten wurde, die es nie gab. Lieferanten verlangten Geld für ihre Ware. Ein angeblicher Kunde in der Türkei zahlte die Rechnung für Dienstleistungen nicht. Auf dem Konto der EN Storage klaffte eine Millionen-Lücke. Um alle zu beschwichtigen, flogen die Geschäftsführer in die Türkei, nach Ungarn und Dubai. „Es war ein großes Chaos“, sagt der Zeuge. Die Geschäftspost zum Streit füllt Ordner. Kiesel verliest die seiner Meinung nach entscheidenden Auszüge.

Hans-Jürgen Wenzler, der Vorsitzende Richter, erweckt keineswegs den Eindruck, dass er beabsichtigt, diesen Prozess zu beschleunigen. Es gab einen Augenblick, in dem es schien, als könnte dies gelingen. Kiesel hatte angedeutet, dass womöglich Gespräche zwischen Gericht, Anklage und Verteidigung sinnvoll seien. Wenn sogar noch bis in den Januar hinein verhandelt würde, antwortete Wenzel, „wüsste ich nicht, was es noch zu besprechen gäbe“.