Ein allwöchentlicher Tross hochexklusiver Karossen nervt die Anwohner in und um das Gerberviertel. Augen- und Ohrenzeugen schimpfen über Motorenlärm und gefährliche Raserei.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Ferrari-Fahrer finden vorurteilsgemäß immer einen Parkplatz. Wer für eine große Inspektion seines Wagens gelegentlich genauso viel bezahlt wie andere für einen Kleinwagen direkt aus dem Schaufenster des Autohauses, wer sich eine Vollkaskoversicherung leisten kann, die so viel kostet, wie mancher Normalverdiener sich in einem ganzen Jahr nicht erarbeitet, für den haben Strafzettel in etwa die Bedeutung eines mahnenden Zeigefingers. Eben dies scheint ein Dutzend Besitzer exklusiver Karossen allwöchentlich beweisen zu wollen. Allerdings parken sie nicht nur, wo eben Platz ist, sie fahren auch, wo eben Platz ist.

 

Die Pressestelle der Polizei reagiert eher entnervt auf Fragen nach Autocorsos in der Innenstadt: „Wieder aufgemotzte Dreier-BMW?“ – gern mit Doppelkennzeichen und bevorzugt auf der Theodor-Heuss-Meile unterwegs. Selbstverständlich, das ist bekannt, aber auf Straßen herumzufahren, ist eben nicht verboten. So in etwa klingt die erste Stellungnahme.

Allerdings ist es nicht die Jugend mit gebraucht gekauften Halbsportwagen, die Bewohner und die Mitarbeiter der Geschäfte im Gerberviertel mit PS-Gehabe nervt. Es sind zehn bis fünfzehn Besitzer echter Sportwagen der Preiskategorie Eigentumswohnung, die jedes Wochenende die halbe Nacht lang ums Viereck röhren: Ferrari, Maserati, von AMG getunte Mercedes . Nein, meint der Polizeisprecher Martin Eibofner, „davon ist nichts bekannt“, weder in der Pressestelle noch im Innenstadtrevier.

„Das hört man bis ins Heusteigviertel“

Gemäß den Schilderungen von Augen- und Ohrenzeugen scheint das allerdings ungewöhnlich. Der Tross der Boliden „beginnt jeden Freitag und Samstag gegen 17 Uhr und endet gegen 1.30 Uhr“, sagt ein Anwohner der Tübinger Straße, und er „fährt immer im Viereck herum“. Die Geräuschkulisse erinnere dabei an ein Rennen auf dem Nürburgring. Diese Klage ist kein Zwischenruf eines einzelnen Nörglers. Den Motorenlärm aus dem Gerberviertel „hört man bis ins Heusteigviertel“, sagt Veronika Kienzle. Die Bezirksvorsteherin für die Stadtmitte war gar mit der Polizei auf Streife, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Dabei stellte sie den Fahrer eines Maserati, der – vorurteilsgemäß auf dem Gehweg – vor der Diskothek Boa parkte. „Der ist dann wenigstens leise weggefahren“, sagt Kienzle. Ungeachtet all dessen gilt auch für Ferraris oder Maseratis: Mit ihnen zu fahren ist nicht strafbar.

Durchaus anders verhält es sich mit dem, was Andrea Leonetti gewissermaßen in Doppelfunktion erzählt. Sie ist Bezirksbeirätin und Schauspielerin am Theater Lokstoff, dessen Adresse die Kleine Königstraße ist. Jene betuchten Autofahrer „düsen durch das ganze Gerberviertel und terrorisieren alle“, sagt Leonetti.

Die Lokstoff-Darsteller spielen in der Öffentlichkeit. Bei einem Auftritt auf dem Gehweg der Tübinger Straße „wären wir fast überfahren worden“, sagt Leonetti. Die Schauspielgruppe sei eben noch beiseite gehuscht, als einer jener Fahrer „mit Wahnsinnsgeschwindigkeit in die Kleine Königstraße eingebogen ist“. Menschen sind noch nicht verletzt worden, aber ein Ehepaar habe in einem Brief an den Bezirksbeirat beklagt, dass sein Hund unter exklusiven Alufelgen verendete. Und auf der Kleinen Königstraße zu fahren, ist durchaus strafbar, auch für Ferraris. Sie ist Fußgängerzone.