Es kommt nicht oft vor, dass jemand aus Gewinnstreben eine Tat wie das Attentat auf den BVB-Mannschaftsbus begeht, sagt der forensische Psychiater Michael Osterheider. Er spricht von einer neuen Tätergeneration.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Dortmund -

 
Herr Osterheider, ist es eine neue Form des Verbrechens, wenn jemand für einen finanziellen Vorteil eine in die Luft sprengen will?
Das ist sicher eine neue Dimension.
Wie ordnen Sie das ein?
Es gibt offenbar Menschen, die ihre psychopathischen Möglichkeiten nur im Interesse der eigenen Person einsetzen und damit alle Hemmnisse beiseite lassen und keine Rücksicht darauf nehmen, o b andere hätten zu Schaden kommen können. Da macht sich jemand keine Gedanken, ist skrupellos und geht dann wortwörtlich über Leichen.
Psychopathisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass man nur den Gewinn im Blick hat, nicht aber die n Menschen, die Schaden nehmen?
Ja. Es geht um die völlige Ich-Konzentriertheit. Es geht nur um die eigene Person, die einen Benefit haben will. Das speist sich aus verschiedenen Quellen. Oft sagen solche Täter, wenn man sie exploriert, dass die anderen Menschen immer Vorteile gehabt hätten und dass sie in Kindheit und Jugend schlecht behandelt worden sind.
Entspricht das der Wahrheit ?
Das ist oft erfunden. In der Regel sind die Angaben, die gemacht werden, nicht real. Das gibt es bei vielen Straftätern.
Wir sprechen von einem Menschen, der sich nicht vorstellen kann oder will, was die Folgen seiner Tat sind und nur seinen Vorteil vor Augen hat.
Genau. Er muss dabei nicht empathielos sein. Aber er schaltet seine Empathiefähigkeit aus, weil ihm die anderen Dinge – in dem Fall wohl Gewinnstreben – wichtiger sind. Dafür nimmt er Opfer in Kauf.
Aber er verfügt offenbar über logistische Fähigkeiten?
Das sind ja oft Leute, die ihre Tat lange vorbereitet haben. Das ist ja nicht aus der spontanen Situation heraus geschehen. Da hat jemand agiert, den kriminelles Gewinnstreben antreibt. In der psychopathologischen Persönlichkeitsstruktur werden Gewinnstreben und Opfer nicht miteinander abgewogen.
Gleichzeitig waren Wirtschaftskenntnisse nötig und überlegtes Arbeiten.
Das ist richtig. Das ist kein Irrer. Dafür ist hochkonzentriertes, manipulatives Arbeiten nötig. Es muss jemand mit einer Persönlichkeitsstruktur sein, die ihm durchaus die Möglichkeit gibt, sehr gezielt zu agieren und berechnend vorzugehen – zu seinem eigenen Vorteil.
Ist so jemand im normalen Leben ganz unauffällig?
Das kann leider so sein. Robert Hare, der die Psychopathologieskala in Kanada mitentwickelt hat, sprach von Schlangen im Anzug, die nach außen alert, smart und nett sind. Jemand kann durchaus charmant auftreten, obwohl er die grausamsten Taten begeht. Das ist immer abhängig von der Bedürfnisbefriedigung. Ein sexueller Sadist hat eine andere Bedürfnisbefriedigung als jemand, der eine n BVB-Bus in die Luft jagen will. Der hat ein wirtschaftliches Interesse. Die Persönlichkeitsstrukturen ähneln sich jedoch.
Wie oft ist ein wirtschaftliches Interesse das Motiv vergleichbarer Taten?
Das ist selten. Das ist aus meiner forensischen Erfahrung heraus eine neue Dimension, die natürlich auch mit einer neuen Generation von Tätern zu tun hat. Das sind Menschen, die im Cyberspace und in unserer Cyberspacewelt natürlich andere Straftaten begehen als vor 30 Jahren.
Klingt fast, wie die zeitgemäße Form des Banküberfalls.
Ja, das kann man fast sagen.