Häfner selbst befürwortet solche dimensionalen Ansätze. Mit Hilfe von Dimensionen, davon ist er überzeugt, lasse sich die individuelle Ausprägung der Erkrankung genauer bestimmen. "Wenn ich diese Dimensionen bei der Diagnose miterfasse, erhalte ich eine wirklichkeitsnähere Darstellung des Krankheitsgeschehens und einen spezifischeren Ansatz für die Behandlung." Ein anderer Weg, der Mannigfaltigkeit psychischer Erkrankungen zu begegnen, könnte darin bestehen, psychische Störungen in homogene Untergruppen einzuteilen. So gibt es zum Beispiel Schizophreniepatienten, die vorwiegend unter Symptomen wie Halluzinationen oder Wahnvorstellungen leiden. Andere kämpfen dagegen eher mit Antriebslosigkeit. Solche Untergruppen zu bilden, wäre zwar wieder Schubladendenken, könnte aber gezieltere Therapien ermöglichen.

 

"Eine chronische Schizophrenie von einer zu unterscheiden, die vollständig ausheilen kann, kann mir bei der Therapieentscheidung helfen", erläutert Markus Jäger den Vorteil von Untergruppen und ergänzt: "Heilt sie aller Wahrscheinlichkeit wieder vollständig aus, setze ich nicht nur die Medikation niedriger an. Ich rate dem Betroffenen auch, seine Arbeit bald wieder aufzunehmen, was bei chronischen Fällen hingegen nicht sinnvoll ist." Zwar gebe es solche Ansätze schon heute, sie seien allerdings nicht sehr konsequent ausgeprägt.

Wie weit sich die Psychiatrie in Zukunft vom allzu starren "Schubladendenken" entfernen wird, lässt sich bisher noch nicht sagen. Die Neufassung des Diagnosehandbuchs DSM-4 ist zwar erst für das Jahr 2013 angekündigt, wird aber schon heute mit Spannung erwartet.