Wolfgang Bünemann leidet an paranoider Schizophrenie und ist seit 60 Jahren Patient im Göppinger Christophsbad. Als leidenschaftlicher Briefeschreiber ist er aber auch in Kontakt mit den Gr0ßen der Welt.

Göppingen - Die Krankheit hat sein Leben früh aus dem Takt gebracht. Die Diagnose: paranoide Schizophrenie. Wolfgang Bünemann hörte Stimmen und sah Bilder, die es nur in seinem Kopf gab. Er war Mitte 20, als er eine Ausbildung zum Restaurator abbrechen musste. Zuvor hatte er schon ein Studium der Kunstgeschichte aufgegeben. Das ist 60 Jahre her. Seither lebt der fast 85-Jährige in der Psychiatrie im Göppinger Christophsbad. Und obwohl die Krankheit sein Leben bestimmt, beherrscht sie ihn nicht. Wolfgang Bünemann hat einen wachen Geist. Er beschäftigt sich mit Kunst, Philosophie, Religion, Politik, Literatur – und er ist darüber hinaus ein leidenschaftlicher Briefeschreiber.

 

Er korrespondiert nicht nur mit Freunden. Auch an den Papst, die Bundeskanzlerin – nie spricht er von Angela Merkel, immer nur von der Kanzlerin – und sogar an die englische Königin richtet er Briefe. Und er bekommt oft eine Antwort, auch aus dem Buckingham Palace. Die Briefumschläge des englischen Königshauses sind schlicht: weißes Papier, blauer Aufkleber „BY AIR MAIL – Royal Mail“, ein großes E und ein großes R für Elizabeth Regina mit einer römischen zwei dazwischen und einer Krone obendrauf, ein Stempel mit der Aufschrift „Buckingham Palace“ und, das versteht sich, eine Briefmarke mit dem Konterfei der Queen. Stolz zeigt Wolfgang Bünemann einen Packen mit den illustersten Absendern. Obwohl ihm an den Briefen viel liegt, würde er sie sofort jemandem schenken, der daran Freude hätte. Ohnehin hat er sich vom größten Teil seiner Korrespondenz trennen müssen, weil sein Zimmer im Christophsheim nicht groß genug ist. „Man hätte mit den Briefen den ganzen Raum füllen können“, sagt er. Auch seine hochkarätige Bibliothek musste er verkleinern. Einen Großteil der Bücher schenkte er einer rumänischen Universität.

Besondere Symapathien für Bendedikt XVI.

Seine Schrift ist gestochen scharf, die Sprache zeugt von einem großen Herzen. „Ich möchte die Menschen unterstützen, die mir sympathisch sind und die ich gut finde“, sagt Wolfgang Bünemann über die Motivation seiner Korrespondenz. Meistens sind den Briefen auch kleine Aufmerksamkeiten beigefügt. Gerne verschenkt er Bücher. Je ein Band über die Versteinerungen in Holzmaden ist im Postkasten des Bundeskanzleramtes und des Buckingham Palace gelandet. Der Kanzlerin verehrte er ferner ein Buch über Frauenleben im klassischen Altertum. Nicht von ungefähr. Er findet eine Frau an der Spitze des Staates gut. „Ich bin froh, dass wir nicht nur Männer haben. Die Kanzlerin ist eine gute Politikerin“, erklärt Bünemann, der Mitglied der CDU ist und regelmäßig die Versammlungen der Göppinger Christdemokraten besucht.

Besondere Sympathien hegt Wolfgang Bünemann für Papst Benedikt XVI. und dessen Nachfolger Franziskus. Benedikt schätzt er, weil er wie er selbst aus Bayern stammt, und in Franziskus setzt er große Hoffnungen. Zurzeit wartet er auf eine Antwort aus dem Vatikan. „Es ist erst zwei Wochen her, dass ich einen Brief an Franziskus abgeschickt habe“, sagt er.

Wie es Wolfgang Bünemann geschafft hat, trotz seiner schweren Erkrankung so offen und bei aller Bescheidenheit so selbstbewusst zu sein? Der Mittachtziger wiegt nachdenklich den Kopf. Diese Frage hat er sich nie gestellt. Er erzählt von einer glücklichen Kindheit in materiell gesegneten Verhältnissen. Sein Vater war Kunsthändler und Kunstkritiker. Obwohl Bünemann aus bestem Hause stammt, hat er das nie herausgekehrt. Er arbeitete als Assistent der Gärtnerei im Park der Klinik und leitete später bis zu ihrer Auflösung die Krankenhausbibliothek. Er schrieb für die Seelenpresse, die klinikeigene Zeitschrift, an der Patienten und Mitarbeiter mitwirken, und er lernte das Malen in der Kunsttherapie. Seine Porträts können sich sehen lassen.

Aus dem Christophsbad nicht wegzudenken

Aus dem Christophsbad sei Wolfgang Bünemann nicht wegzudenken, sagt der Psychologe Rolf Brüggemann. Er werde allseits geschätzt. So sei es auch einem seiner Briefe zu verdanken, dass der frühere Geschäftsführer und medizinische Direktor der Klinik, Burkhard Krauß, das Bundesverdienstkreuz bekommen habe.

Er habe sich in der Klinik immer gut aufgehoben gefühlt, sagt Wolfgang Bünemann, der in seinem Leben ein großes Kapitel Psychiatriegeschichte am eigenen Leib erfahren hat. Er erzählt, dass er in jungen Jahren in Freiburg Elektroschocks bekommen hat – ohne Narkose. „Davor hatte ich fürchterliche Angst, das war schrecklich.“ Die vielen Medikamente, die er gegen seine Krankheit schlucken musste und die zum Teil heftige Nebenwirkungen haben können, scheint er dagegen gut zu verkraften. Sie haben seine Persönlichkeit nicht verändert. Traurig macht ihn seine zunehmende Schwerhörigkeit. Die Schizophrenie hat ihn nicht in die Isolation gestoßen, doch die erschwerte Kommunikation macht ihn einsam. Aber auch diesem Schicksalsschlag hat er sich nicht ergeben. „Besuchen Sie mich doch mal wieder“, bittet er seine Gäste. Und die kommen gerne.