Fernsehshows wie Germany’s Next Topmodel vermitteln ein Bild vom perfekten Aussehen. Wer solchen Schönheitsidealen nicht gerecht wird, wird oft zum Opfer von Body-Shaming. Ein Psychologe erklärt, was dahinter steckt.

Stuttgart - An diesem 30. Januar startet die 15. Staffel der Castingshow „Germany’s Next Topmodel“. 28 Kandidatinnen treten an, um Model zu werden – und sich von Heidi Klum beurteilen zu lassen. Doch Sendungen wie diese oder inszenierte Fotos auf Instagram prägen unser Bild vom perfekten Aussehen, sagt Hinrich Bents, Leiter des Zentrums für Psychologische Psychotherapie der Uni Heidelberg. Der Druck, solchen Schönheitsidealen gerecht zu werden, ist hoch.

 

Herr Bents, warum spielt das Äußere in unserer Gesellschaft eine so große Rolle?

Soweit man weiß, ist das so, seit es uns Menschen gibt – und völlig unabhängig von Zeit und Gesellschaft. Das sieht man zum Beispiel an frühen menschlichen Bildnissen. Mit dem Aussehen konnte und kann man kenntlich machen, zu welcher Gruppe oder Gesellschaft man gehört.

Schönheitsideale unterscheiden sich aber durchaus. Gebräunte Haut und dünne Körper gelten anderswo als Zeichen von Armut. . .

Die Ideale werden vor allem von denjenigen geprägt, die zu einer bestimmten Zeit oder in einer bestimmten Gesellschaft Erfolg haben. Über die Medien oder durch TV-Shows wird dann vermittelt: Wenn du so aussiehst, bist du erfolgreich, gehörst du zu uns. Germany’s Next Topmodel ist so ein Paradebeispiel. Vor allem junge Menschen versuchen dann, diesem Ideal nahe zu kommen. Sie haben ein großes Bedürfnis, dazuzugehören.

Es gibt aber auch Menschen, denen scheint es völlig egal zu sein, wie sie aussehen oder was andere über sie denken.

Das hängt mit dem Selbstbild zusammen und damit, wie groß das eigene Selbstbewusstsein ist. Wenn ich mich minderwertig fühle, bin ich anfällig für alles, was meinen Selbstwert zu erhöhen scheint. Über die Veränderung des eigenen Aussehens kann man ja durchaus Anerkennung bekommen. Solche Veränderungen geben einem außerdem das Gefühl, etwas zu tun, eine gewisse Kontrolle zu haben. In der Jugend wird das relativ schnell und häufig belohnt. Langfristig ist das aber eher destruktiv: Es ist ja nur ein Scheinselbst, dass da in einer Phase aufgebaut wird, in der man eigentlich ein stabiles Selbstbewusstsein entwickeln sollte.

Ist der Druck zur Selbstoptimierung durch inszenierte und gefilterte Bilder auf Online-Plattformen wie Instagram gewachsen?

Influencer spielen heute eine große Rolle. Aber es sind viele Interessengruppen die davon finanziell profitieren, wenn Menschen versuchen, sich zu optimieren. Zeitschriften zum Beispiel, Nahrungsmittelhersteller oder die Fitnessindustrie. Durch Ratgeber, Apps und Gadgets mögen sie ja einerseits die gute Absicht vermitteln, ein gesundes Leben zu fördern. Andererseits stecken dahinter eben handfeste ökonomische Absichten. Das sehe ich durchaus mit Sorge.

Weil es dazu führt, dass mehr junge Menschen unter dem Schönheitswahn leiden – und etwa eine Essstörung entwickeln?

Es sind mehrere Faktoren, die dazu führen können, dass sich eine Essstörung entwickelt. Aber jemand mit dieser psychischen Störung ist meist auch besonders anfällig für den Druck von außen. Bestimmte Moden spielen daher durchaus eine Rolle.

Ein Viertel der Deutschen ist schon aufgrund des eigenen Aussehens beleidigt worden – das zeigt eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov. Frauen sind von Body Shaming häufiger betroffen als Männer. Viele der Täter waren demnach selbst schon einmal Opfer.

Es scheint ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, andere zu finden, die sich doofer anstellen als wir, und über deren Schwächen zu lästern. Das lenkt ab von den eigenen Unzulänglichkeiten. Wer mit seinen eigenen Schwächen nicht im Reinen ist, zeigt eher mit dem Finger auf andere. Im anonymen Netz – zum Beispiel in Foren oder Kommentarspalten – ist das besonders heftig, weil es dort kaum ein unmittelbares Korrektiv gibt, kaum jemanden, der einem persönlich sagt, dass es so nicht geht.

Unter dem Begriff Body Positivity versuchen junge Menschen, dem etwas entgegenzusetzen – etwa indem sie Bilder von unreiner Haut oder Dehnungsstreifen zeigen. . .

Meine persönliche Einschätzung ist, dass das durchaus etwas verändern kann. Solche Bewegungen zeigen, dass man auch einen Menschen mögen kann, der nicht bis in die Haarspitzen perfekt ist. Und dass es nicht darum geht, immer nur der Größte und Schönste zu sein. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass sich Vielfalt und die Akzeptanz des Anderssein in vielen Gesellschaften weltweit allmählich durchsetzen.

Was hilft bei Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und bei Intoleranz gegenüber anderen?

Das ist vor allem die Fähigkeit, sich mit sich selbst und mit dem eigenen Körper zu versöhnen – und Mitgefühl mit sich selbst zu empfinden. Das ist entscheidend, um Widerstandsfähigkeit zu entwickeln, also Resilienz. Der Mut zum Mittelmaß, zur Normalität, kann etwas sehr Entspannendes haben.

Der Psychologe Hinrich Bents

Hinrich Bents studierte und promovierte zwischen 1975 und 1988 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 2005 ist Hinrich Bents Direktor des Zentrums für Psychologische Psychotherapie der Universität Heidelberg (ZPP Heidelberg) und als Psychologischer Psychotherapeut tätig.

Bents publiziert zu störungsspezifischen Psychotherapien sowie zu Motivation und Erfolg und Misserfolg von psychotherapeutischer Behandlungen. Schwerpunkte seiner Behandlungen sind etwa Essstörungen, depressive Störungen und Burnout, aber auch Persönlichkeitsentwicklung.

Schwerpunkte seiner Behandlungen sind etwa Essstörungen, depressive Störungen und Burnout, aber auch Persönlichkeitsentwicklung.