Depressionen
Nicht nur Mohammed Atta, einer der Anführer der „Todesflüge“ des 11. Septembers 2001, war schwer depressiv. Auch andere der damaligen Attentäter hatten Probleme, wie sie sich auch bei Menschen finden, die sich aus unpolitischen Gründen umbringen. Der US-Kriminologe Adam Lankford hat zahlreiche Details zusammengetragen.

 

Marwan Yousef al-Shehhi
Wie Atta war er Mitglied der Hamburger Terrorzelle, bevor er mit 23 Jahren ein Flugzeug in den zweiten Turm des World Trade Centers flog. Er hatte mit 19 den unerwarteten Tod seines Vaters erlebt. Damit kam er nicht gut zurecht und zog sich von seiner Familie zurück.

Ziad Jarrah
Dieser weitere Ex-Hamburger Todespilot beklagte, er sei „vom Leben enttäuscht“ und bestand darauf, „die Erde nicht auf natürlichem Weg zu verlassen“.

Wail al Shehri
Zwei Jahre vor seinem Todesflug war dieser Attenteäter in so tiefe Depressionen gestürzt, dass er seine Arbeit aufgeben und sich behandeln lassen musste.

Tawfiq bin Attash
Offenbar war er ebenfalls als Flugzeugentführer eingeplant und nur deshalb nicht an Bord, weil er kein Visum für die USA bekam. Er hatte schon mit 15 Jahren in Afghanistan gekämpft und dort in einer traumatisierenden Schlacht einen Teil seines rechtes Beins und einen seiner Brüder verloren.

Traurige Täterbiografien

In einem Fachartikel und einem Buch beschreibt Lankford viele traurige Täterbiografien näher. So hatte Umar Abdulmutallab, der ein Flugzeug über Detroit sprengen wollte, über das Internet verkündet: „Ich habe niemand, mit dem ich reden könnte, den ich um Rat fragen könnte, der mir helfen würde, und ich fühle mich depressiv und einsam.“ Auch Wafa Idris, die erste Palästinenserin, die sich in Israel in die Luft sprengte, befand sich in einer schweren Krise. Sie hatte eine Fehlgeburt erlitten und konnte deshalb keine Kinder mehr bekommen. Ihr Mann hatte sich deshalb von ihr getrennt, und sie war voll Scham zu ihrer Mutter zurückgegangen.

Die Reaktionen auf Lankfords These fallen sehr gemischt aus. Die führende Wissenschaftszeitschrift „Nature“ bescheinigt ihm „überzeugende, gut kombinierte Belege“, der prominente Harvard-Psychologe Steven Pinker lobt die „faktengestützte Analyse“. Nicht überzeugt ist freilich Politikwissenschaftler Pape, der die mit über 2500 Fällen größte Untersuchung von Selbstmordattentätern vorgelegt hat. Depressiv seien beispielsweise weniger als fünf Prozent, argumentiert Pape. Diese Forschung sei allerdings „in der Breite besser als in der Tiefe“, gibt Lankford zurück. Von vielen Tätern seien Pape überhaupt nur das Geschlecht, die Organisation und Details des Anschlags bekannt – bei diesem Informationsstand ergeben sich natürlich keine Hinweise auf persönliche Probleme.

Täter mit Todeswünschen

In einer eigenen Untersuchung verglich Lankford terroristische Selbstmordattentäter mit Tätern, die offensichtlich von Todeswünschen motiviert werden: Amokläufer in Schulen, Firmen oder auf der Straße. Viele von ihnen schießen sich am Ende selbst eine Kugel in den Kopf. Auf den ersten Blick scheinen das ganz andere Menschen zu sein. Doch sie haben die gleichen Probleme wie Selbstmordattentäter. Das entdeckte Lankford bei der Analyse aller 81 Fälle, die sich zwischen 1990 und 2010 in den USA ereigneten. Bei beiden Tätergruppen fanden sich etwa gleich viele psychische Störungen und akute Krisen sowie Probleme in der Familie, in der Schule und am Arbeitsplatz.

Auch die Vorgehensweise erwies sich als gar nicht so verschieden. So entschieden sich die zu trauriger Berühmtheit gelangten Schulschützen Eric Harris und Dylan Klebold zwar letztlich für ein Massaker in der Highschool von Columbine, doch zuvor überlegten sie, ein Flugzeug auf New York zu stürzen – wie später die Attentäter des 11. September.

Mit Ausnahme des 11. September forderten die angeblich politisch motivierten Taten nicht einmal mehr Opfer als die unpolitischen – im Schnitt waren es sogar etwas weniger. Dabei hätten viele Selbstmordattentäter leicht mehr Menschen mit in den Tod reißen können. Lankford wertet dies als Beleg, dass es ihnen in Wirklichkeit mehr um den eigenen Tod ging als um den möglichst vieler Unschuldiger.

Keine suizidalen Feiglinge

In ihren Bekennervideos und Erklärungen für die Nachwelt erwähnen Selbstmordattentäter in aller Regel keine persönlichen Schwierigkeiten. Das wundert Lankford nicht: „Die meisten Menschen wollen lieber als heroische Märtyrer in Erinnerung bleiben denn als suizidale Feiglinge.“

Auch die hinterbliebenen Angehörigen von Selbstmordattentätern haben keinen Grund, die Heldenlegenden öffentlich zu untergraben. Ein Märtyrer in der Familie macht sich schließlich besser als ein Selbstmörder. Werden sie befragt, wiederholen sie oft einfach die offiziellen Propagandaphrasen. Doch genau auf diese wenig glaubhaften Aussagen hätten sich Forscher bisher vor allem gestützt, kritisiert Lankford. So seien sie zum Schluss gekommen, die Täter hätten keine persönlichen Gründe, sondern politische.

Verzweiflungstäter werden geschaffen

Außerdem argumentierten Forscher bisher, Terrororganisationen würden keine psychisch instabilen Täter anwerben, weil die unkontrollierbar wären. Lankford fand für diese These kaum Belege. Dafür stieß er auf die Aussage eines Mahmoud genannten Rekruteurs von Selbstmordattentätern. Mahmoud ließ seine Leute gezielt Ausschau halten nach „Burschen, die verzweifelt und traurig sind“.

Zumindest in Einzelfällen schaffen sich Terrororganisationen solche Verzweiflungstäter offenbar selbst. Laut Lankford wurden in Afghanistan und Pakistan „Teenager entführt und von ihren Kidnappern geschlagen, um so ihren Lebenswillen zu brechen, sie suizidal zu machen und dann zu Selbstmordattentaten zu bringen“.

Viele Verzweifelte allerdings melden sich freiwillig, und zwar gezielt. Sie sind „keine richtigen Mitglieder von Terrororganisationen“, urteilt Lankford, „sie sind Bürger ohne terroristische Erfahrung und Verbindungen, und nur dabei, um Selbstmordattentate auszuführen“. Die meisten typischen Mitglieder von Terrororganisationen hingegen können sich nicht vorstellen, Selbstmordanschläge zu verüben.

Attentäter des 11. Septembers

Depressionen
Nicht nur Mohammed Atta, einer der Anführer der „Todesflüge“ des 11. Septembers 2001, war schwer depressiv. Auch andere der damaligen Attentäter hatten Probleme, wie sie sich auch bei Menschen finden, die sich aus unpolitischen Gründen umbringen. Der US-Kriminologe Adam Lankford hat zahlreiche Details zusammengetragen.

Marwan Yousef al-Shehhi
Wie Atta war er Mitglied der Hamburger Terrorzelle, bevor er mit 23 Jahren ein Flugzeug in den zweiten Turm des World Trade Centers flog. Er hatte mit 19 den unerwarteten Tod seines Vaters erlebt. Damit kam er nicht gut zurecht und zog sich von seiner Familie zurück.

Ziad Jarrah
Dieser weitere Ex-Hamburger Todespilot beklagte, er sei „vom Leben enttäuscht“ und bestand darauf, „die Erde nicht auf natürlichem Weg zu verlassen“.

Wail al Shehri
Zwei Jahre vor seinem Todesflug war dieser Attenteäter in so tiefe Depressionen gestürzt, dass er seine Arbeit aufgeben und sich behandeln lassen musste.

Tawfiq bin Attash
Offenbar war er ebenfalls als Flugzeugentführer eingeplant und nur deshalb nicht an Bord, weil er kein Visum für die USA bekam. Er hatte schon mit 15 Jahren in Afghanistan gekämpft und dort in einer traumatisierenden Schlacht einen Teil seines rechtes Beins und einen seiner Brüder verloren.