Macht zu viel Stress krank? Eine Langzeitstudie der Uni Kalifornien zeigt: Nicht die Entspanntesten, sondern die Produktivsten sind besonders gesund.

Riverside/Kalifornien - Leben entspannte Menschen länger? Macht zu viel Stress bei der Arbeit krank? Howard Friedman und Leslie Martin von der Universität von Kalifornien, die zuletzt verantwortlichen Autoren eines beispiellosen Projekts, das mehrere Wissenschaftlergenerationen beschäftigte, antworten darauf mit einem überraschend klaren Nein. Hintergrund ist das Ergebnis einer Langzeitstudie, die 1921 von dem kalifornischen Psychologen Lewis Terman gestartet wurde.

 

Terman suchte 1500 intelligente Jungen und Mädchen aus, die allesamt um 1910 zur Welt gekommen waren. In regelmäßigen Abständen wurden die sogenannten Termiten acht Jahrzehnte lang immer wieder zu verschiedenen Themen befragt. Terman und seine Nachfolger sammelten alle möglichen Informationen über deren Familien, Schulleben, berufliche und soziale Aktivitäten. Das Fazit und die Beschreibung der Terman-Studie erschien im vergangenen Jahr in den USA auf dem Buchmarkt und liegt nun in deutscher Übersetzung vor.

Die Autoren Howard Friedman und Leslie Martin sehen in dem Buch mit dem Titel „Die Long-Life-Formel“ aufgrund der vorliegenden Daten „keinerlei Beweise dafür, dass Menschen, die den Ratschlag zur Entspannung befolgen, gesünder werden“. Gängige Tipps zur Stressvermeidung seien „nicht sehr nützlich, sondern ein Mythos, der nur in die Sackgasse führt“.

Fehlende Disziplin ist Risikofaktor

Es gebe so gut wie keine wissenschaftlichen Beweise, dass die Herausforderungen des täglichen Berufslebens das Immunsystem angreifen und eine größere Zahl von Menschen an Krebs oder an ähnlichen durch Immunschwäche verursachten Erkrankungen sterben. Auch gebe es so gut wie keine Hinweise darauf, dass Menschen, die von ihrem Beruf stark beansprucht werden oder sehr viel arbeiten, eher an Herzerkrankungen leiden.

Friedman und Martin stellten vielmehr fest: wer den größten Berufserfolg hatte, starb am seltensten früh. Die Erfolgreichsten lebten im Durchschnitt sogar fünf Jahre länger als die Erfolglosesten. Und auch wenn sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen mit der Zeit geändert haben sollten, halten die Autoren ihre Thesen für verallgemeinerbar und auch für heutige Generationen gültig. Die Leser ihres Buchs dürften sich "nicht grundlegend" von Termans Probanden unterscheiden, schreiben sie.

Den Zusammenhang von Berufserfolg und langem, gesundem Leben führen die Wissenschaftler auf die Gewissenhaftigkeit und Diszipliniertheit der erfolgreichen Menschen zurück. Dagegen besaßen Männer, die beruflich erfolglos und seit Kindesbeinen an auffallend undiszipliniert waren, ein "dramatisch erhöhtes Sterblichkeitsrisiko": Wer schon in seiner Kindheit undiszipliniert und weniger motiviert, zudem später im Beruf erfolglos war, der starb mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit vor seinem 60. Lebensjahr. Umgekehrt erwies sich Ehrgeiz in Kombination mit Ausdauer, Selbstbeherrschung und hoher Motivation nicht nur als leistungsfördernd, sondern als unverzichtbar für ein vitales Arbeitsleben.

Ein Schutzschild gegen Stress am Arbeitsplatz

Wachsende Verantwortung im Beruf bringe zwar mehr Herausforderungen und größere Arbeitslasten mit sich, doch paradoxerweise sei dies "der langfristigen Gesundheit eher förderlich", heißt es in dem Buch. Es sei kein Zufall, dass Dirigenten, Firmenvorstände und Chefs aller Art in der Regel länger leben als ihre Untergebenen. Schädlicher Stress am Arbeitsplatz entstehe zudem weniger durch die Anforderungen der Arbeit an sich als durch Konflikte mit anderen Leuten.

Wenn man genügend Einfluss auf die Resultate besitze, brächten anspruchsvolle Aufgaben weniger Stressbelastungen mit sich. Ein guter Schutzschild gegen Stress am Arbeitsplatz schien, anderen gegenüber nicht allzu kritisch eingestellt zu sein, Streit aus dem Weg zu gehen und nicht immer seinen Kopf durchsetzen zu wollen. Wer das beherzigte, blieb meist gesünder und lebte länger, schreiben die Psychologen. Das heiße nicht zwangsläufig, Konflikten auszuweichen, aber man solle dabei versuchen, "in anderen Menschen das Gute zu sehen".

Ein aktiver Ruhestand macht glücklich

In der Terman-Studie nannten die vitalen Männer im Alter von mehr als 60 Jahren als wichtigste Aspekte in ihrem Leben die Arbeit und die Familie - und nicht Freunde, Kultur oder die Suche nach Glück. "Die Arbeit wurde nicht als Stress gesehen, den man meiden musste, sondern als etwas höchst Wertvolles." Die Forscher wollten auch wissen, inwiefern die Persönlichkeit zu einem längeren Leben beiträgt.

So begünstigten unternehmerische Jobs tatsächlich latent ungesunde Neigungen, etwa die, mehr Stress auf sich zu laden und sich dabei weniger gesund zu verhalten, sich also bei der Arbeit ganz aufzureiben. Wenn die Person jedoch mit einer weniger unternehmerischen Persönlichkeit ausgestattet war, war sie nicht ganz so arg betroffen, sie "stand nicht ständig unter Strom".

Und wie verhielt es sich mit der Produktivität derjenigen Menschen, die ihr Berufsleben bereits hinter sich hatten? Insgesamt 720 Probanden, die um 1910 geboren waren, lebten noch in den 80er Jahren. Die Forscher verglichen diejenigen, die im Alter noch sehr produktiv waren, mit denjenigen, die ihre Ruhe genossen und keinen sonderlichen Ehrgeiz mehr entwickelten.

Intelligenz reicht nicht für ein langes Leben

Die Ergebnisse seien "dramatisch", schreiben die Forscher. Die kontinuierlich produktiven Männer und Frauen lebten viel länger als ihre entspannten Altersgenossen. "Nicht die glücklichsten oder die entspanntesten älteren Teilnehmer lebten am längsten", lautet das Fazit der Psychologen, "sondern diejenigen, die sich am meisten für das Erreichen ihrer Ziele engagierten."

Wer zudem im hohen Alter noch hart arbeitete, schien meist glücklicher und sozial besser eingebunden zu sein. Wer also energisch zugriff und Eigenverantwortung übernahm, wurde älter als seine Altersgenossen. Intelligenz allein reichte dagegen nicht aus für ein langes Leben - entscheidend war, dass Wissen und Talent in produktive Bahnen gelenkt wurden. Buch Howard Friedman und Leslie Martin: Die Long-Life Formel. Die wahren Gründe für ein langes und glückliches Leben. BeltzVerlag, 320 Seiten, 19,95 Euro.

Ein aussergewöhnliches Forschungsprojekt

Initiator Lewis Terman (1877 bis 1956) war Psychologe an der kalifornischen Stanford-Universität. Dort entwickelte er einen später weit verbreiteten IQ-Test, den Stanford-Binet-Test. 1921 begann er mit Kindern eine Studie, an der letztlich 1528 teilnahmen.

Studie Terman hatte nach besonders intelligenten Kindern gesucht und konnte nachweisen, dass sie nicht weniger gesund und sozial veranlagt sind als der Durchschnitt. Ihre Intelligenz hat nicht automatisch dazu geführt, dass sie im Leben erfolgreicher waren.

Folgen Die Probanden wurden später regelmäßig befragt und untersucht. Die Psychologen Howard Friedman und Leslie Martin haben diese Daten mit Blick auf die Faktoren eines langen Lebens aufbereitet. In ihrem Buch verzichten sie auf statistische Angaben.