Mit Achtsamkeit gegen Stress und Depression: eine neue kognitive Therapieform kann mit der medikamentösen Prophylaxe gegen Rückfälle mithalten. Schwerere Fälle lassen sich damit besser behandeln als leichtere.

Stuttgart - Depressionen sind tückisch. Kaum hat man es aus dem dunklen tiefen Loch der Erkrankung geschafft, kann man wieder hineinrutschen. Die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen steigt mit der Anzahl bereits erlittener depressiver Episoden rapide an. Speziell um solchen Rückfällen vorzubeugen, wurde die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie entwickelt. Die achtwöchige Gruppenbehandlung vereint zwei unterschiedliche Ansätze: Auf der einen Seite greift sie auf Elemente der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion zurück. Dieser Ansatz soll Menschen ganz allgemein helfen, mittels Meditation, Atem- und Yogaübungen den Stresspegel zu senken und das seelische Wohlbefinden zu steigern. Auf der anderen Seite nutzt die achtsamkeitsbasierte Therapie Methoden aus der klassischen kognitiven Verhaltenstherapie: Depressive Patienten bekommen beispielsweise beigebracht, mit ungewollt auftauchenden negativen Gedanken umzugehen.

 

„Wenn eine Depression zum ersten Mal ausbricht, stehen dahinter meist belastende Lebensereignisse, etwa Verluste nahestehender Menschen, oder Traumata“, erklärt Oliver Kreh. Er ist Leitender Psychologe der AHG Klinik Tönisstein. „Wenn aber die Depression wiederkehrt, sind oft überhaupt keine belastenden Lebensereignisse im Spiel.“ Eine Vermutung ist, dass das stark negative Denken bei Depressionen in Form etwa von Selbstvorwürfen durch das Schwanken von emotionalen Zuständen in Gang gesetzt wird. Betroffene denken: „Mir geht es schlecht – daran bin schuld!“ Sie geraten in eine Abwärtsspirale aus trübseligen Emotionen und Gedanken.

Genau hier setzt die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie an. Anders als in einer klassischen Verhaltenstherapie geht es nicht darum, den Menschen Problemlösefertigkeiten an die Hand zu geben, um belastende Lebensereignisse zu meistern. „Sie sollen stattdessen lernen, eine andere Haltung zu negativen Emotionen und Gedanken zu entwickeln“, sagt Oliver Kreh. Durch Meditation, durch die Beobachtung des Atems, lerne man ganz allmählich Abstand zu gewinnen von störenden oder unangenehmen Vorstellungen. „Man lässt die Gedanken vorbeiziehen und lernt zu erkennen, dass Gedanken und Gefühle genau das sind: Gedanken und Gefühle, nicht unbedingt die Wahrheit.“ Auch den depressiven Gedanken „Ich bin wertlos und an allem selbst schuld“ sieht man dann nur noch als Gedanken.

Bei schwereren Fällen wirksamer als bei leichteren

Dass die Achtsamkeit nicht nur in der Theorie eine gute Idee ist, zeigen mittlerweile diverse Studien. „Die beste Untersuchung zur Wirksamkeit von achtsamkeitsbasierter kognitiver Therapie für die Rückfallprävention ist eine dänische Studie“, so Johannes Michalak. Er ist klinischer Psychologe an der Universität Witten-Herdecke. „Bei Patienten mit drei oder mehr depressiven Episoden in der Vorgeschichte reduzierte sich das Rückfallrisiko um mehr als 40 Prozent.“ Insgesamt gebe es Hinweise, dass bei schwereren Fällen – Patienten mit mehr Rückfällen und stärker traumatisierenden Erlebnissen in der Kindheit – die Therapie wirksamer ist als bei leichteren Fällen.

Zudem könnte die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie eine wichtige Alternative zu Antidepressiva darstellen. Antidepressiva gelten als wirksames Mittel, um Rückfällen vorzubeugen. Doch nicht jeder Betroffene ist bereit, zu den Medikamenten zu greifen und mit etwaigen Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme zu leben. Außerdem hält die Wirkung der Tabletten auch nur solange an, wie man sie einnimmt.

Alternative zur medikamentösen Rückfallprophylaxe

Forscher um den Psychiater Willem Kuyken von der Universität Oxford verglichen nun kürzlich im Fachblatt „The Lancet“ Antidepressiva und die achtsamkeitsbasierte Therapie. Mehr als 400 Patienten, die bereits drei oder mehr depressive Episoden hinter sich hatten, teilten sie nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen ein. Die eine Hälfte nahm weiterhin Antidepressiva ein, die andere durfte sich der Achtsamkeit widmen. In beiden Fällen waren die Rückfallquoten im Verlauf von zwei Jahren vergleichbar. Sie lagen zwischen 40 und 50 Prozent. „Die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie scheint also für Patienten, die sich auf eine psychotherapeutische Behandlung einlassen wollen, eine Alternative zur medikamentösen Rückfallprophylaxe zu sein“, sagt Johannes Michalak.

Mittlerweile mehren sich die Hinweise, dass die achtsamkeitsbasierte Therapie nicht nur der Rückfallprävention dienen, sondern auch bei akuten Depressionen helfen könnte. Das ergab unter anderem 2014 eine Untersuchung von Forschern um die Psychologin Clara Strauss von der Universität Sussex. Sie sichteten im Rahmen einer Metaanalyse Studien, in denen sich Patienten mit einer aktuellen depressiven Episode einer achtsamkeitsbasierten Therapie unterzogen hatten. Tatsächlich waren die Symptome der Betroffenen in den Untersuchungen zurückgegangen.

Therapie kann in Gruppen angeboten werden

„An vielen Kliniken in Deutschland werden mittlerweile Achtsamkeitselemente in die Behandlung von depressiven Patienten aufgenommen“, sagt Johannes Michalak. „Für die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie hingegen in Reinform mit Kursen von acht Wochen ist die Versorgungssituation in Deutschland vermutlich nicht so gut.“ Das liegt auch an den hohen Anforderungen an die Therapeuten. Sie müssen mindestens ein Jahr lang eigene Erfahrung mit Achtsamkeit und Meditation gesammelt haben. Gleichzeitig müssen sie sich natürlich auch mit den klinischen Störungen auskennen, die sie behandeln. Sie müssen also Ärzte oder Psychotherapeuten sein.

Einer der Vorzüge der achtsamkeitsbasierten Methoden ist, dass sie kostengünstig sind, da sie im Gruppenformat angeboten werden. Außerdem können damit 12 bis 15 Patienten gleichzeitig versorgt werden, die sonst vielleicht lange auf einen Einzeltherapieplatz warten müssten. Doch es gibt auch unbestreitbar Nachteile: Die Betroffenen müssen die Disziplin mitbringen, jeden Tag 40 bis 50 Minuten zu üben. Zudem kann Achtsamkeit bei Patienten zu erhöhtem Stress führen, vor allem zu Beginn der Behandlung. „Achtsamkeit ist beileibe kein Wellnessprogramm“, sagt Johannes Michalak. Man wird mit sich selbst konfrontiert, sich der eigenen Denk- und Verhaltensmuster bewusster. „Das ist nicht für jeden Menschen angenehm.“

Stress und Depression

Achtsamkeit
In den späten 1970er Jahren entwickelte der Mediziner Jon Kabat-Zinn die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion. Kabat-Zinn ging es mit seinem Ansatz nicht um die Behandlung von psychischen Störungen.Vielmehr sollte der Ansatz Menschen helfen, ihren Stresspegel zu senken und sich seelisch wohler zu fühlen. Später baute dann die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie zur Vorbeugung von Rückfällen bei Depressionen auf diesem Ansatz auf.

Antidepressiva Bei wiederkehrenden Depressionen sieht etwa die von der britischenGesundheitsbehörde NICE empfohlene Standardbehandlung vor, Antidepressiva mindestens zwei Jahre lang zur Vorbeugung einzunehmen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft rät rückfälligen Patienten ebenfalls zu einer erneuten Therapie mit einem Antidepressivum, mit dem sie bereits früher erfolgreich behandelt wurden.