Wer sich einsam fühlt, hat ein größeres Risiko für Bluthochdruck und Alzheimer. Zudem leiden die geistigen Fähigkeiten unter Isolation.

Hamburg - "Ich muss gerade mal meinen Gefühlen freien Lauf lassen", schreibt die Nutzerin (((lonely29)) auf Psychic.de, einem Selbsthilfeforum im Internet. Sie sei gerade an einem Punkt angelangt, der tiefer nicht sein könne. "Ich weine jeden Tag so viel, dass ich manchmal denke, dass eigentlich keine Tränen mehr da sein dürften." Der Mensch ist ein soziales Wesen, dem es schlecht ergeht, wenn er sich ausgegrenzt fühlt. Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, ob man tatsächlich alleine dasteht. Das Gefühl des Verlassenseins richtet sich weniger danach, wie viele zwischenmenschlichen Beziehungen man hat. Auf ihre Qualität kommt es an.

Einsamkeit ist nicht gleich Alleinsein


Laut dem Psychologen und Einsamkeitsforscher Reinhold Schwab von der Universität Hamburg leiden einsame Menschen subjektiv an ihren beeinträchtigten Beziehungen zu anderen Menschen. Sie empfänden eine Kluft zwischen den gewünschten und den tatsächlich wahrgenommenen Qualitäten ihrer sozialen Bindungen. Einsamkeit dürfe man daher nicht mit Alleinsein verwechseln. "Man kann sich bekanntlich auch mitten unter Menschen einsam fühlen", sagt Schwab.

Einsamkeit gilt gemäß der Internationalen Klassifikation der Krankheiten, kurz ICD-10, nicht als eigenständige psychische Krankheit. Sie wird stattdessen als ein Begleitphänomen von anderen seelischen Störungen wie Angst oder Depression angesehen. Gleichzeitig birgt soziale Isolation wiederum ein Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen.

Der Einsamkeitsforscher John Cacioppo und seine Kollegin Louise Hawkley von der Universität Chicago haben kürzlich im Fachblatt "Trends in Cognitive Sciences" eine beunruhigende Bilanz gezogen: Einsamkeit habe schwerwiegende Folgen für Köper und Geist. Fühlt man sich alleine, steigt die Wahrscheinlichkeit, ein schwächeres Immunsystem und einen höheren Blutdruck zu haben. In einer Langzeitstudie konnten die beiden Wissenschaftler zudem bei einsamen Seelen gestiegene Cortisolwerte im Blut feststellen. Die Konzentration des Stresshormons nimmt zu, wenn die psychischen Belastungen größer werden. Tatsächlich fühlten sich die Betroffenen im Alltag stärker unter Druck als sozial zufriedene Personen.

Das Immunsystem wird durch mangelnden Schlaf beeinflusst


"Einsame Menschen unterscheiden sich von nicht einsamen Individuen in ihrer Neigung, stressige Umstände eher als bedrohlich denn als herausfordernd wahrzunehmen", erläutert Cacioppo. Sie gingen eher passiv mit Stress um, anstatt aktiv ihre Probleme anzugehen, und suchten auch nicht nach Unterstützung. Eine wichtige Möglichkeit, Stress zu verarbeiten, bleibt einsamen Menschen zudem verwehrt: Schlaf. Denn gerade die Qualität der Nachtruhe lässt bei ihnen zu wünschen übrig. Sie schlafen unruhiger und wachen häufiger mitten in der Nacht auf. Die fehlende Möglichkeit, sich nachts regenerieren zu können, könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum das Immunsystem von einsamen Seelen häufig beeinträchtigt ist.

Ebenso tragen die geistigen Fähigkeiten Spuren der Isolation davon. Einsame Menschen haben ein mehr als doppelt so hohes Risiko, an Alzheimer zu erkranken, konnte der Neuropsychologe Robert Wilson nachweisen. "Wir brauchen gesunde Interaktionen mit anderen, um unsere Gesundheit zu erhalten", so Wilson. Offensichtlich seien Langzeiteinsame anfälliger für die schädlichen Wirkungen von altersbedingten Erkrankungen des Zentralnervensystems, sagt der Wissenschaftler. Auch bei Tieren gehe Isolation mit verminderter Verästelung von Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen einher, was letztlich das Erinnerungsvermögen schwäche.

Zudem verändert das gefühlte Alleinsein die Weise, in der Menschen die Welt wahrnehmen. Einsame Individuen neigen stärker dazu, Mitmenschen als Bedrohung zu betrachten. Im gleichen Atemzug erleben sie Zwischenmenschliches als viel weniger erfüllend. Forscher um Cacioppo fanden mit Hilfe von bildgebenden Verfahren auch einen möglichen Grund: Das Gehirn von gesellschaftlich isolierten Menschen tickt in sozialen Dingen offensichtlich ein wenig anders. Bei ihnen reagiert das ventrale Striatum - ein Teil des Belohnungszentrums im Gehirn - viel verhaltener, wenn sie Menschen in angenehmen sozialen Situationen beobachten.

Der typische Teufelskreis muss besiegt werden


Noch unklar ist, ob die zurückhaltende Reaktion eine Folge langer Einsamkeit darstellt oder ob sich die Betroffenen gesellschaftlich zurückziehen, da ihr Gehirn den Austausch mit anderen Menschen nicht belohnt. "Obwohl Einsamkeit möglicherweise die Hirnaktivität beeinflusst, legt unsere Forschung auch nahe, dass vielleicht die Aktivität im ventralen Striatum Gefühle der Einsamkeit fördert", so der Psychologe Jean Decety, ein Kollege von Cacioppo.

Der Hamburger Psychologe Reinhold Schwab rät einsamen Seelen, darüber nachzudenken, ob sie sich nicht in einem typischen Teufelskreis befinden: "Je negativer die eigenen Einstellungen und Erwartungen gegenüber anderen, desto eher reagieren diese mit Reserviertheit und Ablehnung einem selbst gegenüber - und man sieht seine Vorsicht und sein Misstrauen gegenüber den anderen erneut bestätigt."