Paare stehen heute mehr unter Druck als früher, das ist der Eindruck der langjährigen Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle Stuttgart, Dorothee Schif. Am Donnerstag wird sie in den Ruhestand verabschiedet.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Auf einem Tablett hat Dorothee Schif ihre kleinen Helfer angeordnet: 24 Figuren, mithilfe derer ihre Klienten ihre Probleme visualisieren können. Liegt die Krise in der Arbeit begründet, kann man das eigene Team aufstellen. Geht es um die Familie, verkörpern sie Mutter, Vater, Kinder, Liebhaber oder Großeltern. In unzähligen Konstellationen standen die Figuren schon im Büro der Familienberaterin und Supervisorin. Die Figuren, die ein Kollege von der Alb geschnitzt hat, wird Dorothee Schif einpacken, bevor sie es verlässt.

 

An diesem Donnerstag wird die langjährige Leiterin der psychologischen Beratungsstelle in der Augustenstraße mit einem Gottesdienst feierlich in den Ruhestand verabschiedet – schließlich ist der Träger der Einrichtung die evangelische Kirche. 24 Jahre lang, seit 1992, hat Dorothee Schif in der Beratungsstelle gearbeitet, seit 2002 war sie deren Leiterin.

Trauernde müssen lernen, den Schmerz anzunehmen

„Mein Thema war schon immer die Trennung“, sagt die 65-Jährige – auch aus persönlichen Gründen, wobei die eigene Trennung von ihrem ersten Mann lange zurückliegt. Trennung habe auch etwas von Trauer, meint sie. Es sei eine Art des Sterbens, bei der der andere noch da ist. Wichtig sei ihr immer gewesen, dass die Kinder nicht als Kampfmittel eingesetzt werden – der Weg aus der Krise sei möglich, indem man sich mit Respekt begegnet.

Auch die Trauer ist einer ihrer Schwerpunkte. Dabei gehe es sehr viel ums Annehmen. „Erst indem ich etwas annehme, dieses Schwere aushalte, kann sich etwas wandeln“, erklärt sie. Gemeinsam mit Martin Klumpp, Prälat im Ruhestand, hat sie regelmäßig Gesprächsgruppen geleitet: für Geschiedene, für Trauernde, für Frauen, die abgetrieben haben. „Mir war es ein großes Anliegen, dass die Kirche sich nicht nur mit den Hochzeiten beschäftigt, sondern auch mit der Realität“, sagt sie.

2000 Menschen jedes Jahr in der Beratungsstelle

Aufgewachsen ist Dorothee Schif in Bochum, als Pfarrerstochter mit vier Geschwistern. „Wir konnten immer jemanden mitbringen, beim Essen saßen wir oft zu zwölft beisammen“, erinnert sie sich. Diese Offenheit hat auch sie selbst gelebt: Vor ihrem Sozialarbeitsstudium in Esslingen hat sie unter anderem mit geistig Behinderten Menschen auf der Alb gearbeitet. Damals lernte sie Gerhard kennen, einen Jungen mit Down-Syndrom. Bis zu seinem Tod vor vier Jahren hielt die Verbindung, in den Ferien, an Weihnachten und Ostern war Gerhard immer bei ihr in Stuttgart – auch, als ihr Sohn und ihre Tochter in den 80er Jahren geboren wurden. „Wir waren seine Familie“, erzählt sie.

Rund 2000 Menschen kommen im Jahr in die Beratung an der Augustenstraße – freiwillig und aus eigenem Antrieb. Das Team besteht aus 22 Mitarbeitern, darunter Psychologen, Theologen, Pädagogen. Im Vergleich zu früher, so ist der Eindruck von Dorothee Schiff, stünden die Paare heute mehr unter Druck. Das Leben sei schnelllebiger, es gebe mehr Fernbeziehungen, sie kenne kaum noch Paare, in denen nicht beide berufstätig seien. „Alles muss funktionieren, alles ist durchgetaktet“, sagt sie. Sich selbst und anderen Grenzen zu setzen, auch den eigenen Kindern, falle vielen schwer. Auch überhöhte Ansprüche, dass alles perfekt zu sein hat, hätten zugenommen, ist ihre Erfahrung.

Trennungsschmerz als Beraterin

Die neue Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle heißt übrigens Dorothee Wolff und ist ihre bisherige Stellvertreterin. „Manche haben mich schon darauf angesprochen, ob ich wieder geheiratet habe“, erzählt Dorothee Schif. Sie selbst hat nun etwas „Trennungsschmerz“ als Beraterin. Nach etwas Abstand und einigen Reisen kehrt sie aber zurück – in geringem Umfang als Supervisorin und Beraterin. „Es ist ein Geschenk, dass die Menschen sich einem anvertrauen“, sagt sie.