Stefanie Stahl ist die wohl bekannteste Psychotherapeutin Deutschlands. In ihren Bestsellern macht sie die Persönlichkeitsentfaltung zum Geschäft. Ihre Bühnenshow trägt den Titel „Normalgestört“.

„Wie du Menschen loswirst, die dir nicht guttun, ohne sie umzubringen“, „Du musst nicht von allen gemocht werden“, „Scheiß auf die Glücksfee“ – ein Auszug aus der Spiegel-Sachbuch-Bestsellerliste zeigt: Psychologische Themen sind angesagt. Die Zeiten, in denen dem Interesse für ebendiese ein Stigma anhaftete, sind vorbei.

 

Dazu passt, dass die wohl bekannteste Psychologin Deutschlands, Stefanie Stahl, derzeit mit einer Art Coaching-Show auf Bühnentour ist – und die Vorstellungen im April in mehreren Großstädten längst ausverkauft sind. Psychotainment nennt man das Phänomen auf Neudeutsch. Ähnliches gab es schon mal in den 2000er Jahren mit dem so genannten Infotainment. Zu den „Deutschstunden“ des Autors Bastian Sick erschienen damals mehr als 10 000 Menschen. Daniel Kehlmann stand mit „Die Vermessung der Welt“ auf den Bestsellerlisten, Bildung war ein angesagtes Thema.

Überall wird psychologisiert, persönlichkeitsoptimiert und reflektiert

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Nun also die Psychologie. Podcasts, Hochglanzmagazine, Bücher und TV-Sendungen – überall wird psychologisiert, persönlichkeitsoptimiert und reflektiert. „Wenn das Essen gesichert ist, also für die körperlichen Grundbedürfnisse gesorgt ist, hat der Mensch Zeit und Muße, sich mit abstrakteren Ebenen des Daseins zu beschäftigen“, erklärt Stefanie Stahl den Hype.

Mit dem Job-Coaching, bei dem sich vor allem Führungspersonen mit ihrem Charakter und ihrer eigenen Wirkung beschäftigen, habe alles begonnen, so Stahl. In der Szene ist die 58-Jährige ein Star. Sie hält Vorträge und Seminare zu ihren Spezialgebieten Bindungsangst, Liebe und Selbstwertgefühl. Mit dem Modell vom Sonnen- und Schattenkind hat sie eine Methode zur Arbeit mit dem in der Psychologie um sich greifenden Modell des inneren Kinds erschaffen. Stahls Bücher wie „Das Kind in dir muss Heimat finden“ und „Jeder ist beziehungsfähig“ haben sich millionenfach verkauft.

Seit Jahren auf den Bestsellerlisten

„Ich wundere mich eher, dass die Menschen erst jetzt darauf kommen, sich mit der Psyche zu beschäftigen“, sagt die Triererin. Schließlich sei die Psyche das, was unsere Wahrnehmung, unser Denken und Handeln bestimme. „Die Welt wie sie heute aussieht, ist ein Ergebnis davon, dass sich bislang zu wenig Menschen mit ihrer Psyche befasst haben. Wären alle selbstreflektiert, hätten wir eine bessere Welt“, ist sie überzeugt.

Die Erfahrung mit persönlichen Krisen ist inzwischen zu einem Massenphänomen geworden. Die Zeiten, in denen es als Schwäche galt, vom geradlinigen Weg abzukommen, sind vorbei. Heute gilt eher als verdächtig, wer nie eine persönliche Krise hatte und sich damit auseinandergesetzt hat.

Mit den Matching-Partys hat sie einen Nerv getroffen

Auf diesem Boden bewegt sich Stahl und versteht es, psychologische Theorie mit Alltagsdenken zu verknüpfen. Mit ihren Dating-Events, den Matching-Partys, hat sie ebenso einen Nerv getroffen wie mit ihren Podcasts „So bin ich eben“ und „Stahl aber herzlich“.

Mit den Partys holt sie Menschen der Generation Tinder ab und per Persönlichkeitstypen-Test zusammen. Kontrollfreak oder Chaot? Träumer oder Tatsachenmensch? Stahl benutzt Techniken, die es in der Psychologie längst gibt. Der Test für die Matching-Partys basiert auf der Myers-Briggs-Typologie, ein gängiges Instrument.

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Anhand realer Beispiele zeigt sie Wege aus Krisen auf, ermutigt, eingefahrene Muster zu hinterfragen. „Passen wir zusammen?“, „Wie behaupte ich mich?“, „Woher habe ich meine Glaubenssätze?“ – so lauten die Themen ihrer Podcastfolgen. Sie holt die Zuhörerinnen und Zuhörer da ab, wo ihre Gedankenspiralen gerade stecken geblieben sind – und wo es am Selbstwert hapert. Wie tiefschürfend und nachhaltig das ist, steht auf einem anderen Blatt.

Selbstwirksamkeit heißt das Zauberwort

„Es macht doch so viel aus, wie ein Mensch tickt, ob der eine eher introvertiert ist und der andere extrovertiert. Da hängt ja ein riesiges Universum dran, egal ob im Job, in der Liebe, in der Erziehung oder auf Freundschaftsebene“, erklärt Stefanie Stahl ihren Antrieb, Menschen für psychologische Themen zu gewinnen. Sie möchte dazu anleiten, Glaubenssätze wie „Ich bin nicht gut genug“ zu hinterfragen. Denn: „Wir sind gut genug. Und beziehungsfähig. Und in der Lage, unser Leben so zu gestalten, wie wir es möchten“, sagt Stahl. Selbstwirksamkeit heiße dabei das Zauberwort.

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Das Selbstbild des Menschen

Gemeinsam mit dem Psychologen und Moderator Lukas Klaschinski ist Stefanie Stahl derzeit auf Deutschlandtour, um ihren Fans live „berührende, anregende und lehrreiche psychologische Unterhaltung“ zu bieten, wie es im Pressetext heißt. Alle Vorstellungen waren und sind ausverkauft. „Normalgestört“ heißt die Show – ein bezeichnender Titel, der viel aussagt über eine Gesellschaft, in der man die Sitzung beim Psychotherapeuten nicht mehr als Physiotherapie-Stunde tarnen muss.

Biografie, Werdegang, Programm

Werdegang
Stefanie Stahl, geboren 1963 in Hamburg, studierte Psychologie an der Universität Trier. In der Stadt arbeitet sie auch heute noch mit eigener Praxis. Sie war 20 Jahre lang als Gutachterin für Familiengerichte tätig.

Schaffen
Sie hat mehrere Bestseller geschrieben, unter anderem „Das Kind in dir muss Heimat finden“. Sie beschäftigt sich in ihren Büchern vor allem mit den Themen Bindungsangst und Selbstwertgefühl. Außerdem veröffentlicht sie zwei Podcasts „So bin ich eben!“ und „Stahl aber herzlich“.