Das Internet spielt auch in der psychologischen Betreuung eine immer größere Rolle. Die Schwierigkeit für Nutzer: Aus der Vielfalt der Programme das passende für sich auszuwählen.

Stuttgart - Nicht alle Menschen, die Probleme haben, möchten einem Psychologen in die Augen schauen, wenn sie ihr Innerstes nach außen kehren. Manche telefonieren lieber. Andere schreiben lieber am Computer oder Smartphone. So erhält etwa die Psychologin Carolina Mayer aus Leipzig, die seit einem Jahr Online-Beratung bietet, mehr und mehr Anfragen von Interessenten. „Ein großer Vorteil ist, dass die Hemmschwelle, ein solches Angebot zu nutzen, gering ist“, sagt sie. „Im Rahmen der Online-Beratung habe ich öfter erlebt, dass sich Menschen an mich gewandt haben, bevor es zu gravierenden Problemen kommen konnte.“

 

Bei ihr geht der Beratung in der Regel ein persönliches Erstgespräch voraus. So will sie herausfinden, ob ein Online-Coaching überhaupt sinnvoll ist. „Vor allem bei leichten bis mittelgradigen Depressionen kann eine solche Begleitung effektiv sein“, sagt Mayer. Auch Menschen mit sozialen Phobien, denen die Gegenwart anderer Angst macht, ziehen schriftliche Beratungen vor.

Die Kommunikation per Mail läuft ähnlich ab wie ein Gespräch, sagt Mayer: Der Patient beschreibt, wie er sich fühlt und was ihn beschäftigt. Im Gegenzug bekommt er eine Einschätzung der Situation, eventuell Rückfragen sowie Aufgaben und Anregungen. Die Antwort kommt allerdings zeitverzögert – und Zwischenfragen sind nicht möglich. Ob dieser Austausch für einen Klienten geeignet ist, ist eine Frage der Persönlichkeit. Neben der Lust, sich schriftlich auszudrücken, muss er viel Motivation und Disziplin mitbringen.

Reine Internettherapien sind verboten

Dass die Psychologin von Online-Beratung und nicht von Internettherapie spricht, hat seinen Grund: Die Berufsordnung sieht vor, dass bei einer Therapie Diagnose und Aufklärung „in unmittelbarem Kontakt zwischen Psychotherapeut und Patient“ erfolgen. Eine reine Internettherapie ist verboten. Schließlich sind auch Stimme, Sprechweise, Mimik, Gestik und Bewegungen wichtig, damit sich der Therapeut ein Bild vom Patienten machen kann. Umgekehrt sind die Begriffe „Beratung“ und „Coaching“ nicht geschützt. Daher dürfen auch Laien diese Dienste anbieten. Um sich davon abzugrenzen, hat der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) ein Gütezeichen für qualifizierte Online-Berater eingeführt.

Neben solchen niedergelassenen Psychologen gibt es im Internet unzählige andere Anbieter, die Hilfe versprechen. Da psychotherapeutische Praxen vielerorts überlastet sind, ist die Nachfrage groß. Doch im Netz stoßen Hilfesuchende auf eine verwirrende Vielfalt an Online-Beratungen, -Programmen oder -Kursen. Bei einigen Portalen findet man eine Auswahl von Psychologen, die man gezielt anschreiben kann. Andere sind reine Computerprogramme, die Fragebögen automatisch auswerten und vorgefertigte Antworten geben. Bei wieder anderen hat man zusätzlich Kontakt zu Psychologen. Auch Krankenkassen sind in dem Bereich aktiv: So bieten etwa die Techniker-Krankenkasse („Depressionscoach“) oder die Barmer GEK („Pro Mind“) eigene Online-Programme an.

Intransparente Angebote

„Das Problem ist, dass die Angebote oft intransparent sind“, sagt Fredi Lang vom BDP. „In vielen Fällen handelt es sich um reine Geschäftemacherei.“ So seien Widerruf und Datenschutz häufig nicht gewährleistet. Nicht selten berufen sich Anbieter als Beleg für ihre Wirksamkeit auch auf Studien, die bei näherem Hinschauen nicht belastbar seien, kritisiert Lang. Daher will der Verband demnächst ein Gütesiegel einführen, das die Portale beantragen können.

Auch die Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung sieht den Online-Markt kritisch. „Psychisch belastete oder kranke Menschen sollten sich nicht auf Experimente mit unsicherem Ausgang einlassen“, heißt es dort. Falsche Hilfe könne psychische Erkrankungen verschlimmern oder andere negative Effekte haben. Online-Angebote seien nur eine Ergänzung und kein Ersatz für eine Psychotherapie.

Doch der Trend hin zu Online-Interventionen lässt sich kaum stoppen: „Die Bereitschaft der Bundesbürger, solche Angebote zu nutzen, ist groß“, sagt Christiane Eichenberg, Leiterin des Instituts für Psychosomatik an der Sigmund-Freud-Universität Wien. So habe eine ihrer Studien ergeben, dass mehr als ein Viertel aller Deutschen bereit wäre, sich im Bedarfsfall Hilfe im Internet zu holen. Die Nutzer schätzten vor allem, dass sie anonym und unabhängig von Zeit und Ort schreiben können und dass es kaum Wartezeiten gibt. „Im Allgemeinen klappen solche Beratungen auch gut“, sagt Eichenberg, die selbst jahrelang als Online-Beraterin gearbeitet hat. „Studien zeigen auch, dass sich über das Online-Setting eine tragfähige therapeutische Beziehung herstellen lässt.“ Voraussetzung ist aber, dass Menschen antworten – und nicht die Maschine.

Risiken bei schweren Störungen

An Grenzen stößt die Online-Beratung bei schweren Störungen. So heißt es etwa in der Gebrauchsanweisung des Therapieprogramms „deprexis24“, dass das Programm bei „Vorliegen einer bipolaren Störung, einer psychotischen Störung (zum Beispiel Schizophrenie) oder bei vorhandenen Suizidgedanken“ nicht angewendet werden sollte. Allerdings kann sich die Situation auch im Laufe der Anwendung verschlechtern. „Bei sehr belasteten Menschen lässt sich nicht alles steuern“, so Eichenberg.

Mögliche Suizidgedanken zu erkennen und richtig zu reagieren sei eine „große Herausforderung“ für Online-Berater, betont sie. Auch automatische Programme wie „deprexis24“ versuchen, eine Suizidgefährdung schnell zu erkennen: Wenn man etwa bejaht, in den letzten zwei Wochen fast jeden Tag daran gedacht zu haben, lieber tot als lebendig zu sein, erscheint ein Warnhinweis samt verschiedener Notfallnummern. Den kann der Nutzer aber auch missachten.

Und wie effektiv sind Online-Interventionen? In einigen Studien haben sie sich bei manchen Störungen als genauso wirksam erwiesen wie herkömmliche Therapien. Vor allem bei Angststörungen und depressiven Störungen sei die Effektivität gut belegt, sagt Eichenberg. „Am besten ist die Wirksamkeit aber, wenn der Nutzer auch persönlichen Kontakt zu einem Therapeuten hat.“

So findet man Hilfe im Netz

Checkliste Die Bundespsychotherapeutenkammer hat für Patienten eine Checkliste erstellt, die ihnen hilft, Internetprogramme für psychische Beschwerden selbst zu prüfen: www.bptk.de/uploads/media/20170627_patienten-checkliste.pdf.

Berater Psychologen, die als Online-Berater vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen zertifiziert wurden, findet man unter www.bdp-verband.de/service/onlineberater.html.

Portale Novego bietet Online-Selbsthilfeprogramme zu Depression, Angst und Burn-out. Mehrere Krankenkassen übernehmen die Kosten: www.novego.de. Deprexis24 ist ein Online-Therapieprogramm für leichte bis mittelschwere Depressionen. Für Mitglieder der Krankenkasse ist das Programm kostenlos: www.deprexis24.de. Eine ganze Reihe von Online-Kursen zur Förderung der psychischen Gesundheit bietet das GET.ON Institut an. An einigen Programmen kann man im Rahmen von Studien kostenlos teilnehmen: www.geton-training.de. Bei Selfapy kann man Kurse zu verschiedenen Themen, etwa Depression, Stress oder Essstörung, buchen: www.selfapy.de.