Die Hand der 26-jährigen Nadine Weißflog schlägt auf den Konferenztisch. „Wut!“, sagt sie. „Bei dieser Arbeit entwickelst du eine solche Wut auf die Systeme, in denen die Menschen leben. Aber als Therapeut bist du da machtlos. Du behandelst eben das Individuum und nicht das System.“

 

Nadine Weißflog rückt ihre schwarze Hornbrille zurecht. Vor vier Jahren, als sie hier begann zu arbeiten, erzählt sie, lernte sie erstmals jenes Konzept kennen, das als verhaltenstherapeutische Schreibtherapie übers Internet, auch: ‚Interapy‘, bekannt ist. In der Regel nicht länger als acht Wochen kommunizieren dabei Therapeut und Klient in einer Art Zeitlupen-Ping-Pong per E-Mail. Die Behandlung verläuft anhand einer fix vorgegebenen dreiphasigen Abfolge. Entwickelt wurde dieses Therapiemodell Ende der 1990er Jahre an der Universität Amsterdam, wo es rasch derart gute Ergebnisse zeigte, dass das bzfo einige Jahre später das Modell übernahm und unter der wissenschaftlichen Leitung der FU Berlin und der privaten Hochschule Medical School Berlin für den arabischen Raum kulturell adaptierte – das einzige seiner Art in Europa, finanziert von Misereor, dem katholischen Hilfswerk Deutschland.

Skeptikern zum Trotz weisen die Statistiken auf, dass diese Therapieform beim bzfo funktioniert – gerade bei posttraumatischen Belastungsstörungen sind die Erfolge besonders gut belegt. Nachteile, wie das Fehlen von non-verbaler Kommunikation, werden wettgemacht, unter anderem durch das strikte Handlungsprotokoll, nachdem Therapeut wie Klient gezwungen sind, über den gesamten Behandlungszeitraum am Kern der Problematik zu bleiben. Studien bestätigen die Wertigkeit von Onlinetherapien. In den Niederlanden, Großbritannien und Schweden ist man davon überzeugt – dort übernehmen die Krankenkassen die Behandlungskosten.

Was, wenn das Internet gekappt wird?

Eine virtuelle Therapie hat aber ihre Grenzen: akute Suizidgedanken, schwere Depressionen – wenn es um Krisenintervention geht, ist das Internet keine Option. Da muss von Angesicht zu Angesicht geholfen werden. Die andere Grenze der Onlinepsychotherapie: Stromausfälle, Internet lahmgelegt. Was dann? „Das ist ein Problem, vor allem in Krisengebieten“, sagt Therapeut Ziad Musa. Bis vor Kurzem hatte er mehrere Leute im Irak behandelt, doch wegen der jüngsten politischen Entwicklungen verlor er von einem Tag auf den anderen den Kontakt zu vielen seiner Klienten. „Ist es deshalb, weil das Internet gekappt wurde“, fragt sich der 32-Jährige. „Oder deshalb, weil ihnen etwas passiert ist?“

Die Kontakte gehen ausschließlich in arabische Länder. Foto: Mostegel

In all dieser Zeit wird der Mann nie erzählen, weshalb er eigentlich im Gefängnis gewesen war. Und Nadine Weißflog darf nicht danach fragen, so schreibt es das Therapiekonzept vor. Das Einzige, wonach sie ihn fragen wird, ist, dass er alles, aber auch wirklich alles zu seinem traumatischen Erlebnis aufschreibt: Wie hat man ihn gefoltert? Wie oft, wie lange?

Zum Zeitpunkt der Behandlung liegt das traumatische Erlebnis des Mannes bereits zwei oder drei Jahre zurück, denn nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden war, hatte er zunächst zugewartet – vielleicht in der Hoffnung, alles werde sich schon wieder einrenken. Doch es blieb, wie es war: Er fühlte sich gelähmt und leer. Empfand sich als Nichts. So beschreibt er es seiner Therapeutin, vermutlich nicht ahnend, dass viele ihrer anderen Patienten ähnliche Worte wie er verwenden.

Männer aus Syrien, die im Gefängnis vergewaltigt wurden, Frauen aus Saudi-Arabien, die missbraucht wurden – die Traumata jener, die um Hilfe suchen, sind unterschiedlich, die Nachwirkungen jedoch dieselben: quälende Flashbacks, emotionale Taubheit und allgemeiner Rückzug – einige der Merkmale der sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung

Manchmal überkommt sie die Wut

Die Hand der 26-jährigen Nadine Weißflog schlägt auf den Konferenztisch. „Wut!“, sagt sie. „Bei dieser Arbeit entwickelst du eine solche Wut auf die Systeme, in denen die Menschen leben. Aber als Therapeut bist du da machtlos. Du behandelst eben das Individuum und nicht das System.“

Nadine Weißflog rückt ihre schwarze Hornbrille zurecht. Vor vier Jahren, als sie hier begann zu arbeiten, erzählt sie, lernte sie erstmals jenes Konzept kennen, das als verhaltenstherapeutische Schreibtherapie übers Internet, auch: ‚Interapy‘, bekannt ist. In der Regel nicht länger als acht Wochen kommunizieren dabei Therapeut und Klient in einer Art Zeitlupen-Ping-Pong per E-Mail. Die Behandlung verläuft anhand einer fix vorgegebenen dreiphasigen Abfolge. Entwickelt wurde dieses Therapiemodell Ende der 1990er Jahre an der Universität Amsterdam, wo es rasch derart gute Ergebnisse zeigte, dass das bzfo einige Jahre später das Modell übernahm und unter der wissenschaftlichen Leitung der FU Berlin und der privaten Hochschule Medical School Berlin für den arabischen Raum kulturell adaptierte – das einzige seiner Art in Europa, finanziert von Misereor, dem katholischen Hilfswerk Deutschland.

Skeptikern zum Trotz weisen die Statistiken auf, dass diese Therapieform beim bzfo funktioniert – gerade bei posttraumatischen Belastungsstörungen sind die Erfolge besonders gut belegt. Nachteile, wie das Fehlen von non-verbaler Kommunikation, werden wettgemacht, unter anderem durch das strikte Handlungsprotokoll, nachdem Therapeut wie Klient gezwungen sind, über den gesamten Behandlungszeitraum am Kern der Problematik zu bleiben. Studien bestätigen die Wertigkeit von Onlinetherapien. In den Niederlanden, Großbritannien und Schweden ist man davon überzeugt – dort übernehmen die Krankenkassen die Behandlungskosten.

Was, wenn das Internet gekappt wird?

Eine virtuelle Therapie hat aber ihre Grenzen: akute Suizidgedanken, schwere Depressionen – wenn es um Krisenintervention geht, ist das Internet keine Option. Da muss von Angesicht zu Angesicht geholfen werden. Die andere Grenze der Onlinepsychotherapie: Stromausfälle, Internet lahmgelegt. Was dann? „Das ist ein Problem, vor allem in Krisengebieten“, sagt Therapeut Ziad Musa. Bis vor Kurzem hatte er mehrere Leute im Irak behandelt, doch wegen der jüngsten politischen Entwicklungen verlor er von einem Tag auf den anderen den Kontakt zu vielen seiner Klienten. „Ist es deshalb, weil das Internet gekappt wurde“, fragt sich der 32-Jährige. „Oder deshalb, weil ihnen etwas passiert ist?“

Auch im Fall des 38-jährigen Libyers hat Weißflog vor Behandlungsbeginn mittels des diagnostischen Messverfahrens ‚Posttraumatic Stress Diagnostic Scale‘ im Rahmen eines Fragebogens den Grad der Traumatisierung ermittelt. Nach Therapieabschluss misst sie erneut: Um wie viel hat sich sein Zustand gebessert? Im Schnitt, erzählen die zwei Psychologen, milderten sich die Symptome ihrer Patienten um die Hälfte. Der Mann aus Libyen hat sich sogar um 80 Prozent zu seinem Ursprungswert verbessert. „Er ist zwar nicht vollständig geheilt, hat aber nur mehr leichte Symptome.“ Die Therapeutin zupft an der Kordel ihres grünen Kapuzen-Sweatshirts. „Das sind die wirklich guten Momente“, sagt sie. Sie lächelt.

Der 38-jährige libysche Mann hat im Januar seine Behandlung beendet. Was aus ihm geworden ist, weiß Nadine Weißflog nicht. Wie sah dieser Mann eigentlich aus, mit dem sie über intimste Dinge gesprochen hatte? Sie denke öfter an ihn, sagt die 26-Jährige. Wie mit anderen ehemaligen Patienten sei aber auch mit ihm der Kontakt nicht ganz abgebrochen. Erst vergangene Woche habe er sich gemeldet: „Liebe Nadine, es geht mir gut. Ich melde mich heute nur deshalb bei Dir, weil ich Dir und Deiner Familie einen gesegneten Fastenmonat Ramadan wünschen will. Salam, Grüße aus Libyen.“