Am Zapfhahn ist die Hölle los – zumindest vor dem Anpfiff und in der Halbzeitpause. Wenn im Biergarten beim Kursaal in Bad Cannstatt die Fußballfans leiden, müssen die Mitarbeiter fröhlich einschenken.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Stuttgart - Alexander Heinze, 56, hat so etwas geahnt. Nicht im Sinne von „ich hab’s ja gleich gewusst“, wie man später behaupten kann, sondern schon vor dem Anpfiff sagt er: „Nach der Euphorie über das Portugal-Spiel fürchte ich, dass es heute schwieriger wird.“ Viel vom Kick gegen Ghana bekommt Heinze aber nicht mit, denn er steht am Zapfhahn im Augustiner-Biergarten, genauer gesagt an acht Zapfhähnen mit je zweimal Helles, Zitrus, Hefe und Sprudel.

 

Schon zwei Stunden vor Anpfiff beginnt für den Wirt Marco Grenz die heiße Phase. Der „Patenonkel“ mit der Nummer 1 auf dem Rücken macht den Platzanweiser. Der Biergarten ist zur Hälfte gefüllt, viele Tische sind reserviert. 800 Menschen plus x kommen unter. „Wir sind total überbucht“, sagt Grenz, was nicht heißt, dass nicht doch spontan ein Platz zu finden ist, denn bei 200 Reservierungen habe man aufgehört, welche anzunehmen. Wir sind schließlich nicht auf dem Wasen, auf dem Grenz eine Saison lang als Wirt des Württemberg-Hauses so seine Erfahrungen gemacht hat.

Am Zapfhahn ist es noch ruhig. Alexander Heinzes Schicht dauert von 17 bis circa 1 Uhr. Von 1991 bis 2004 war er der Pächter des Biergartens am Kursaal, aber „als die Stadt die Säle nicht mehr vermietet hat, ist der Umsatz eingebrochen“. Zwischenzeitlich hat Heinze in der Industrie gearbeitet. Als Marco Grenz und sein Geschäftspartner Bekim Pajazitaj, die elf Jahre lang zusammen die Alte Kanzlei betrieben haben, im Oktober 2013 den Kursaal übernahmen und im Mai den Biergarten eröffneten, sei er gerne zurückgekommen. „Das ist einer der schönsten Arbeitsplätze“, sagt Heinze. Und was läuft bei so einem Spiel besonders gut? Schwer zu sagen. Was aber die Größenordnung angeht, gibt es eine eindeutige Präferenz: „Mehr Maß als Halbe“ – klar, dann muss man nicht so oft seinen Platz verlassen.

Zum Anstoß ist die Schlange schlagartig verschwunden

Oder man macht es wie die zwei Tische in der ersten Reihe, auf denen je ein Fass à 20 Liter postiert ist und fröhlich um die Wette gezapft wird. Doch, doch, lange Zeit geht es im Biergarten fröhlich und entspannt zu, bis zur „Tagesschau“ haben die meisten gegessen. Das Publikum ist bunt gemischt, Kostümierzwang herrscht nicht, auch wenn viele im neuen Trikot einlaufen. Aber was soll man davon halten, wenn noch ein „Ballack“ oder ein „Gomez“ im Publikum auftauchen?

„Heute wird viel getrunken, aber Trinkpausen soll es keine geben“, sagt Tom Bartels in Fortaleza kurz vor Anpfiff. Das Team hinterm Tresen rackert inzwischen zu sechst. „Drei Helle? Sind in Arbeit.“ „Zwei Edelstoff?“ Werden aus dem Kühlschrank geholt. „Eine Radlermaß? Sehr zum Wohl!“ Helles gibt’s aus 50-Liter-Fässern, Hefe aus 30-Liter-Fässern. „Aber es sind immer drei gleichzeitig in der Leitung“, sagt Heinze. Trotzdem muss im Biergarten öfter ausgewechselt werden als auf dem Platz.

Zum Anstoß ist die Schlange schlagartig verschwunden. „Jetzt können wir erst mal klar Schiff machen“, sagt Heinze. Die Spülstation im Nebenzelt läuft sowieso die ganze Zeit auf Hochtouren, nun kann man auch rund um den Zapfhahn für mehr Ordnung sorgen – mehr als auf dem Platz in Fortaleza. Den könnte man vom Tresen gut sehen, aber hören kann man nichts. „Wie sieht’s aus da draußen? Spielen wir ordentlich?“, fragt Heinze in der 30. Minute. „Könnte besser werden“, sagt ein Mann, nimmt sein Helles und geht zur Kasse.

Einigen schlägt das Spiel auf den Magen

Gegen Ende der ersten Halbzeit braucht Heinze, der zwischenzeitlich die Stellung alleine halten konnte, wieder Verstärkung. „Wo bleiben die Jungs?“ Auch die Hochzeitsgesellschaft lässt sich auf der Terrasse des Kursaals blicken. Neunzig habe man seit Saisonbeginn gehabt, sagt Marco Grenz, zum Teil zwei an einem Tag. Dann Götze in der 51. Minute! Verpasst. Wenigstens ein Blick auf die Wiederholung ist drin. „Wunderbar!“ Doch kurz darauf das 1:1 „Ich hab’s nicht gesehen“, heißt es am Zapfhahn. Na ja, man muss auch nicht alles sehen, aber das 2:2 wäre schon schön gewesen und muss von draußen übermittelt werden: „Klose! Salto! Super!“

Der weitere Spielverlauf scheint einigen auf den Magen zu schlagen. „Haben Sie Schnaps?“, fragt ein Mädel. „Ja, sicher: Willi, Obstler, Mirabelle, Kirsch . . .“ „Dann nehm ich 15 Kirsch und, ähm, haben Sie auch ein Tablett?“ Direkt nach dem Abpfiff gibt Bekim Pajazitaj die Anweisung: „Mach zu!“ Alexander Heinze lässt den Rollladen runter. Passt ganz gut, denn bis 23 Uhr geht die reguläre Schankzeit, aber Pajazitaj sagt, dass man auch die 22-Uhr-Spiele inklusive Verlängerung und Elfmeterschießen versorgen könne. Mit dem Schlussergebnis müsse dann wirklich Schankschluss sein.

Nach dem Spiel ist vor dem Weißwurstfrühstück, das im Biergarten um 10 Uhr losgeht. Deswegen muss am Abend alles aufgeräumt und nachgefüllt werden. An die zwanzig leere Fässer stehen im Kühlhaus. Die Tröten im Fanblock sind verstummt, der Biergarten leert sich zügig, auch in der Innenstadt ist Ruhe, wie die Polizei sagt und eine Probefahrt auf der Theo-Heuss beweist. Kein Autokorso – wenigstens etwas Gutes kann so ein 2:2 haben.