Pur hat gerufen, wieder einmal, und alle sind gekommen. Restlos ausverkauft war die Porsche-Arena in Stuttgart am Freitagabend.

Stuttgart - Pur hat gerufen, wieder einmal, und alle sind gekommen. Restlos ausverkauft war die Porsche-Arena am Cannstatter Wasen, viereinhalbtausend Menschen, die mit Hartmut Engler und seinen Mannen am Freitagabend das Dreißig-Jahr-Bühnenjubiläum feiern wollten. Zu diesem Anlass haben die Musiker „unplugged“ gespielt: auf ihre elektrisch verstärkten Instrumente verzichtet, statt der E-Gitarre die Westerngitarren und statt des Keyboards einen Stutzflügel auf die Bühne gebracht, was allerdings nur an wenigen Stellen auffiel. Dass eine Band überhaupt solange existiert wie Pur (und nach wie vor großen Erfolg hat), ist alles andere als selbstverständlich. Engler & Co. haben ein Genre begründet, das es vor Pur in dieser Form noch nicht gab: den Befindlichkeitspop.

 

Der ist mehrheitsfähig, zur Distinktion absolut ungeeignet und beruht auf verschiedenen Elementen: einer Lightversion des Rock mit eingängigen, leicht mitsingbaren Melodien, verbunden mit Texten, die in ihren besten Momenten die Menschen da abholen, wo sie mit ihren Alltagsproblemen stehen: Liebe, Altern, Freundschaft und Kinder statt Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll. Der Song „Graues Haar“ ist so ein Beispiel für ein Thema, dem sich jeder einmal stellen muss. Man mag die textliche Umsetzung banal finden – und ertappt sich doch bei der Zeile „wieder geht ein Jahr“ dabei, dass man für einen Moment nachdenklich wird: stimmt, je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit.

Bilder für die Sehnsucht

Oder „Ruhe“, eine auch musikalisch starke Ballade, in denen Engler schöne Bilder findet für die Sehnsüchte vieler Menschen nach Nähe und Zärtlichkeit. In seinen schwächeren Momenten können Englers Texte aber auch wie Lebenshilfe aus dem Poesiealbum klingen. „Wir sind sterblich, sterblich und vergänglich“ heißt es in einem neueren Lied, wer möchte ihm da widersprechen?

Doch „der Trick dabei“ sei, „hier und jetzt lebendig den Augenblick auszukosten“. Nun ja. Die Stimmung im Saal jedenfall ist nach einigen Songs regelrecht aufgekratzt und treibt auf den Höhepunkt zu, als in der zweiten Hälfte die großen Hits angestimmt werden: „Abenteuerland“, „Funkelperlenaugen“, „Lena“. Da singt dann der ganze Saal mit, die Stimmung ist irgendwie wie beim Kirchentag, man hat sich gern oder es zumindest vor. Engler ist Seelsorger und Unterhalter zugleich, spielt mit dem Publikum Armehochwerfen und lässt es einige Strophen alleine singen. Und man muss sagen, auch die Textsicherheit ist frappierend. Alles wäre gut gewesen, wäre da nicht das Video, in dem die weltgeschichtlichen Höhepunkte der letzten dreißig Jahre zwischen Mauerfall und 9/11 mit den Stationen der Bandgeschichte zusammengeschnitten sind. Immer wieder Engler, in einer Reihe mit Bush, Clinton und Boris Becker. Ob er sich so wirklich sieht?