Der kleine Esslinger Stadtteil Weil hat das Neckarcenter und die B 10 vor der Haustür. Und ein Neubaugebiet, das bereits 500 Menschen in das Viertel gespült hat. Weitere werden folgen. Die kirchlich finanzierte Quartiersarbeit fängt vieles auf. Doch sie endet Anfang 2024. Und dann?

In der kleinen Lukaskirche im kleinen Esslinger Stadtteil Weil sitzen ältere Menschen beim wöchentlichen Mittagstisch zusammen. Fast wäre das Mini-Gotteshaus dem Immobilienkonzept der evangelischen Gesamtkirchengemeinde zum Opfer gefallen, erinnert sich Pfarrer Peter Rohde. Gerettet hat sie die örtliche Kirchengemeinde Mettingen-Brühl-Weil mit der Idee, aus dem Gotteshaus eine Sozialkirche zu machen. Eine Begegnungsstätte in einem Stadtteil, der zu den kleinsten in ganz Esslingen gehört und der ansonsten keinen anderen öffentlichen Treffpunkt hat. Der isoliert am westlichen Ende der Stadt liegt. Der neben dem Krach der B 10 auch noch den Lärm und die Ausdünstungen aufnehmen muss, den die Autofahrer bei der Anfahrt zum Neckarcenter hinterlassen. Der aber ansonsten keinen Hausarzt, keine Geschäfte, keinen Physiotherapeuten hat. Dabei leben in keinem anderen Stadtteil so viele ältere Menschen wie hier direkt an der B 10, in so gut wie keinem anderen so viele Sozialhilfeempfänger.

 

Doch die Bevölkerungsstruktur und die Einwohnerzahl, die im Sozialmonitor 2020 noch mit 1150 Menschen angegeben ist, ändern sich gerade mit den Salucci-Höfen, die auf dem ehemaligen Sportgelände direkt neben dem Neckarcenter entstanden sind. „Seit einem guten Jahr ist der Stadtteil um etwa 500 Menschen gewachsen, darunter zahlreiche Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter“, berichtet der Quartiersmanager Kurt Hilsenbeck. Das Viertel ist dicht bebaut, die Reihenhäuser hinter den zwei Wohnblöcken, die es von der Bundesstraße und dem Neckarcenter abschirmen, kleben wie Schuhkartons aneinander. Wenn alle 220 Einheiten, darunter 60 Sozialwohnungen, vollends bezogen sind, werden 650 Menschen eine neue Heimat gefunden haben, sagt Hilsenbeck. Doch der Betreiber für die Gemeinschaftsräume, die der private Bauträger bauen musste, ist abgesprungen. Sie sollen jetzt als gewerbliche Flächen an den Mann gebracht werden, erzählt er.

Mehr Menschen, aber noch keine flankierenden Maßnahmen

Der städtebauliche Rahmenplan für Weil aus dem Jahr 2006 sprach von einem unwirtlichen, gesichtslosen und vom Verkehr geprägten Stadtteil. Um ihn zu einem attraktiven Wohnort auch für Familien zu entwickeln, müsse man die Einwohnerzahl erhöhen. „Das ist auch passiert“, so Hilsenbeck. „Aber wir haben nach wie vor keinen Stadtteilplatz, kein Radnetz, keinen Steg über die B 10, keine Aufwertung der Kinderspielplätze oder des Mühlbachs und keinen direkten Zugang zum Bürgerpark.“ Wo andernorts nicht ausschließlich gewinnorientierte Wohnbauunternehmen Wohncafés für das Miteinander oder Gemeinwesenarbeit unter eigener Regie, aber mit Unterstützung der Stadt etabliert haben, springt in Weil seit Februar 2021 die Kirche in die Bresche. Die Ortsgemeinde stellt die Räumlichkeiten in der Lukaskirche, die 75-Prozent-Stelle von Hilsenbeck ist beim Kreisdiakonieverband angedockt und wird aus Mitteln des deutschen Hilfswerks finanziert. Als Quartiersmanager kümmert er sich sowohl um die älteren Weilerinnen und Weiler sowie um die neu Zugezogenen. Doch das Projekt „Quartier Weil“ endet Anfang 2024 – wenn es nicht gelingt, die Arbeit mit einem festen Partner zu verstetigen.

„Wir sehen, wie wir hier angefragt werden“, sieht Eberhard Haußmann, Chef des Kreisdiakonieverbands, nach wie vor dringenden Bedarf vor Ort. Man sei bereit, sich weiter zu engagieren, vielleicht sogar noch räumlich etwas anzubauen. Aber man brauche einen Finanzierungspartner, wobei man die Stadt in der Pflicht sieht.

Denn wo sich so viele Menschen auf engstem Raum einleben müssen, bleiben enttäuschte Hoffnungen und Reibereien nicht aus. „Als die Neuankömmlinge im August 2021 hier eingezogen sind, war der auf vier Gruppen angelegte Kindergarten noch nicht fertig. Auch jetzt ist aus Personalmangel nur eine Gruppe geöffnet“, berichtet Hilsenbeck.

Kinder brauchen Betreuung

Im Sommer kam es regelmäßig zu Beschwerden aus den Reihenhäusern, dass Kinder auch abends noch auf den knappen Freiflächen zwischen den Häusern spielten. „Das Problem ist, dass sie nicht betreut werden“, sagt die Mettinger Kirchengemeinderätin Martina Hark, Vorsitzende des Ausschusses, der die Quartiersarbeit begleitet. Hilsenbeck spricht von einem „gefühlten sozialen Unfrieden“. Er hat das Spielmobil des Stadtjugendrings in die Salucci-Höfe geholt, hat an zwei „Tortennachmittagen“ die Bewohner zusammentrommelt. Es gab ein Willkommensfest mit Kontaktangeboten aller Akteure im Stadtteil, das Weiler Straßenfest wurde zum Stadtteilfest. Er hat Angebote der Familienbildungsstätte oder des Diakonischen Bezirkszentrums dezentral in die Lukaskirche geholt. Und mit den Verantwortlichen des Sportparks Sportangebote und Hausaufgabenhilfe organisiert.

Die Arbeit wird ihm nicht ausgehen, denn hinter den Salucci-Höfen wartet bereits das nächste Viertel auf Abriss und Neubebauung. Hilsenbeck: „Perspektivisch kommen in einem weiteren Baufeld nochmals 600 oder mehr Anwohner dazu.“

Quartiersarbeit in Weil

Stadtteil
 Der Esslinger Sozialmonitor aus dem Jahr 2020 zählt für Weil gut 1150 Einwohner. In rund 40 Prozent der Haushalte ist die jüngste Person 60 Jahre und älter. Der Anteil der Familienhaushalte ist konstant niedriger als in der Gesamtstadt, der Anteil der Familien mit Migrationshintergrund mit 75 Prozent ist einer der höchsten in Esslingen. Jedes fünfte Kinder unter 15 ist von Kinderarmut betroffen. Inwieweit die neuen Salucci-Höfen die Sozialstruktur bereits verändert haben, ist noch nicht erhoben.

Quartier Weil
 Der Kirchengemeinderat Mettingen-Brühl-Weil hat sich 2016 dafür entschieden, sich für den Erhalt der Weiler Lukaskirche zu engagieren. Basis dafür waren die Überlegungen zum Aufbau einer Sozialkirche und das Engagement von Dienste für Menschen, die sich mit einem diakonischen Pflegestützpunkt einmieteten. Von der Herbstsynode gab es 2019 Hilfe aus dem Innovationsfonds für das Vorhaben, in Zusammenarbeit von Kreisdiakonie und Ortsgemeinde die Entwicklung im Quartier mitzugestalten und einen Quartiersmanager einzustellen. Das deutsche Hilfswerk erklärte sich dazu bereit, drei Jahre lang eine 75-Prozent-Stelle zu bezahlen. Im Februar 2021 wurde dann mitten in der Pandemie das Quartiersbüro in der Kirche eingerichtet. biz