Die Filder sind im Umbruch. Die früheren Bauerndörfer wandeln sich fast schon in kleine Städte. In einer Serie beleuchten wir die Entwicklung einzelner Quartiere. Diesmal: Bernhausen.

Bernhausen - An einem alten Bauernhaus bröckelt der Putz von der Fassade, nur ein paar Meter entfernt steht an der Hauptstraße ein modernes Geschäftsgebäude. „Ich habe das Gefühl, dass Bernhausen im Umbruch ist“, sagt ein Mann, der im Ort geboren und groß geworden ist. Und sein Eindruck trügt nicht. Es ist beinahe ein Jahrtausend her, dass Bernhausen erstmals urkundlich erwähnt wurde – „als erster Ort auf den Fildern“, sagt der Filderstädter Stadtarchivar Nikolaus Back.

 

Vieles erinnert an das Bauerndorf, das der inmitten von Feldern gelegene Ort einst war – und zumindest teilweise noch ist. 1840 wird Kraut in großem Stil angebaut, von einer Million Köpfen ist die Rede. Kurz vor der Jahrhundertwende wird die erste größere Krautfabrik gebaut, der erste Zug der Filderbahn stoppt im Dorf „und löst zahlreiche Modernisierungsprozesse aus“, sagt Back. Die Bernhäuser Landwirte sind innovativ. Nutzen die Nähe zu Stuttgart, um die Feldfrüchte zu verkaufen. Der Großmarkt wird regelmäßig bedient. Und verdient wird auf dem hervorragenden Boden auch heute vor allem mit Salat und Gemüse, mit Intensivanbau, der pro Hektar mehr einbringt als Getreide. Das ist zwingend notwendig in einer Region, die vieles im Übermaß hat – nur keine freien Flächen.

Gebaut wird vor allem im Süden von Bernhausen

Von den 1950er Jahren an fressen sich die Bagger in den Außenbereich. Zahllose Grundstücke werden verkauft und bebaut, was bisweilen auch als „vierte Fruchtfolge“ bezeichnet wird – in Anlehnung an den Begriff „Dreifelderwirtschaft“. Es werden Schulen gebaut, das Fleinsbachstadion und schließlich 1973 die Rundsporthalle. Vor allem im Süden des Ortes, dort wo der Flughafen fern und die Böden schlechter sind. 1955 wird der Personenverkehr auf der Filderbahn eingestellt. Man fährt nun Auto und setzt damit eine Entwicklung in Gang, die die ganzen Filder überrollt und für die nach wie vor um Lösungen gerungen wird.

Rund ein halbes Jahrhundert nachdem die letzten Fahrgäste mit der Filderbahn unterwegs gewesen sind, werden erneut Züge aufs Gleis gesetzt – als S-Bahn, die einen großen Einfluss auf den Ort nehmen sollte und die Veränderung Bernhausens von einem Dorf zu einer kleinen Stadt beschleunigt hat.

Die stürmische Entwicklung der gesamten Region hat Folgen, über die man in den einzelnen Fildergemeinden bisweilen gar nicht mehr Herr ist. „Wir haben wegen unserer Lage gewisse Themen, die wir uns nicht raussuchen“, sagt Stadtplanungschef Matthias Schneiders und bezieht sich vor allem auf den überbordenden Verkehr. Dieser Zwang gilt heute, galt jedoch auch schon früher.

Die Filder werden für Zuzügler und Firmen interessant

Schließlich verläuft seit den 1930er Jahren im Norden die Autobahn, dort ist außerdem der Landesflughafen. Die im Stuttgarter Speckgürtel liegenden Filder werden für Zuzügler sowie Firmen interessant, übergeordnete Interessen rufen auf den ersten Blick ungewöhnliche Allianzen hervor. 1967 entsteht Deutschlands älteste noch aktive Bürgerinitiative, die „Schutzgemeinschaft gegen den Großflughafen Stuttgart“, die heutige Schutzgemeinschaft Filder. Bauern gehen zusammen mit Umweltschützern und Künstlern auf die Barrikaden, um einen internationalen Großflughafen mit zwei Pisten auf der eigenen Markung zu verhindern – und haben Erfolg.

Fasst man Entwicklung als Bebauung weiterer Flächen auf, dann hat Bernhausen ein großes Problem. Es ist ein gefesselter Ort. Im Norden der Flughafen und die Autobahn, im Süden die B 27, zudem Markungsgrenzen, Lärmschutzbereiche, Landschaftsschutzgebiete, Felder. Da bleibt nicht mehr viel übrig.

Bernhausen soll sich eher qualitativ entwickeln zu einem „Stadtteil, der wesentliche Zentrumsfunktionen übernehmen wird“, wie Filderstadts Oberbürgermeister Christoph Traub sagt, und wie es auch im räumlichen Leitbild festgehalten ist. Und das ist, folgt man Ulrich Straub, dem Vorsitzenden von Bernhausen aktiv, dringend notwendig. „Bernhausen hat in den vergangenen 20 Jahren grundsätzlich eine negative Entwicklung genommen“, sagt der Betreiber eines Buchgeschäfts im Zentrum des Ortes. „Und das auch durch eine katastrophale Stadtplanung.“ Die Kommunen, sagt er, hätten durch die Ansiedlung von Märkten im Außenbereich ihre eigenen Stadtkerne geschwächt. „Und wenn eine Stadt keine Mitte mehr hat, dann hat sie ein Identitätsproblem“, betont er. Dennoch sieht er gute Chancen für Bernhausen. „Es sind so viele Einwohner, da besteht Potenzial für einen guten Einzelhandelsstandort“, sagt Straub. Allerdings sei optisch eine Sanierung des Ortszentrums mehr als dringend, „und die Fußgängerzone ist in die Jahre gekommen und hat in dieser Form keine Zukunft“.

Die Stadt will Impulse setzen bei der Entwicklung

Das weiß man auch bei der Stadtverwaltung. „Wir wollen mit der anstehenden Innenstadtentwicklung wesentliche Impulse setzen“, sagt Traub und engagiert sich für eine höhere Aufenthaltsqualität. Er hofft, dass noch in diesem Jahr mit der Bebauung auf dem Parkplatz westlich der Stadtbibliothek begonnen wird. Die Stadt selbst hat das Gebäude der Kreissparkasse gekauft. „Es ist jedoch noch nicht klar, ob es abgerissen oder saniert wird“, sagt der Oberbürgermeister. Aufgewertet werden soll auch die Achse zwischen dem S-Bahnhof und der Jakobus-Kirche, die den Endpunkt der Fußgängerzone bildet. „Ohne die privaten Eigentümer ist jedoch nichts zu erreichen“, sagt Traub, berichtet jedoch von „guten Gesprächen“.

Schneiders skizziert weitere Entwicklungen. So könnte die Karlstraße im Zuge der Verlängerung der S-Bahn nach Neuhausen als West-Ost-Achse gestärkt werden. Das böte die Chance, die Karlstraße unter anderem durch Bäume nicht nur städtebaulich aufzuwerten, sondern auch in Richtung Neuhausen zu verlängern „und damit den Ortskern vom Verkehr zu entlasten“, sagt Schneiders. Mit der Filharmonie, der Musikschule Filum sowie den Sportanlagen liegt im Süden des Ortes nach wie vor ein Infrastruktur-Schwerpunkt, der durch den Bau der neuen Gesamtschule weiter gestärkt wird.

Wohnungen sollen, so die einhellige Meinung, vor allem durch eine behutsame Innenverdichtung entstehen. Und Platz für neues Gewerbe ist rar. Die kürzlich erschlossene Fläche im Nordwesten Bernhausens wird nach und nach bebaut. Und zu wessen Gunsten in Bernhausen das Ringen um Flächen entschieden wird, kann heute noch niemand wirklich sagen.