Das Böblinger Amtsgericht verurteilt zwei junge Frauen wegen des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung. Nach einem Streit waren die Angeklagten einfach losgefahren – und hatten ihr Opfer mitgeschleift.

Sindelfingen - Drei junge Frauen in einem Auto, an der Seite hängt ein Mann, die Arme im Innern des Wagens. Das Auto beschleunigt, wird immer schneller. Die halb geöffnete Scheibe, an der sich der Trittbettfahrer festklammert, zersplittert – und in hohem Bogen fliegt der Mann durch die Luft, landet unter einem geparkten Wagen. Keine Szene aus einem amerikanischen Actionfilm, sondern so passiert Anfang des Jahres in Leutenbach im Rems-Murr-Kreis und nun ein Fall für das Böblinger Amtsgericht.

 

Der Zeuge Armin W., der diese Szene beobachtet hat und dem Verletzten als Erster half, dachte anfangs an einen Dummejungenstreich. „Ich sah von Weitem das Auto und hörte Geschrei. Ich dachte, da machen ein paar junge Leute Blödsinn“, erzählte er am Dienstagvormittag vor dem Böblinger Amtsgericht. Sehr rasch jedoch sei ihm klar geworden, dass das offenbar kein Spaß war. „Das Auto wurde immer schneller, und die Schreie des Mannes wurden hysterisch.“

Schürfwunden, Prellungen, Hose zerfetzt

Der Mitgeschleifte hatte großes Glück. Schnitt- und Schürfwunden, einige Prellungen, Hose und Schuhe zerfetzt – der Aufprall verlief relativ glimpflich. „Das hätte auch viel schlimmer ausgehen können“, sagte der Zeuge Armin W.

Die jungen Frauen, die den 20-Jährigen mehr als 300 Meter mitgeschleift hatten und weiterfuhren, ohne sich um ihr verletztes Opfer zu kümmern, standen am Dienstag vor dem Böblinger Amtsgericht. Die Fahrerin stammt aus Stuttgart, ihre Beifahrerin aus Herrenberg.

Völlig ungerührt saßen die 20 und 21 Jahre alten Frauen auf der Anklagebank, bekleidet mit bauchfreien Tops. „Zurechtgemacht für das Freibad, nicht aber für eine Gerichtsverhandlung“, stellte der Richter Ralf Rose fest. Auch ihre Aussagen zu dem Vorfall am 9. Januar machten deutlich, dass ihnen die Schwere ihrer Tat nicht bewusst war. Kein Wort der Entschuldigung kam ihnen über die Lippen. Im Gegenteil, sie stilisierten sich selbst zu Opfern.

Die Herrenbergerin hatte sich damals gerade von dem 20-jährigen Leutenbacher getrennt. Gemeinsam mit zwei Freundinnen wollte sie ihm am Tattag einige von ihm zurückgelassene Kleidungsstücke bringen. In Leutenbach kam es dann aber zum Streit zwischen dem Ex-Paar. Dabei stand er halb gebeugt neben dem Auto, die Arme im Inneren des Wagens, das Handy in der Hand. Auf Geheiß seiner Ex-Freundin wollte er einen Kontakt in den sozialen Netzwerken löschen. Dann, so berichtete er vor dem Amtsgericht, habe ihm seine Ex-Freundin das Handy aus der Hand gerissen und der Fahrerin „Fahr los“ zugerufen. Diese habe Gas gegeben und ihn mitgeschleift.

Der Richter attestiert den Angeklagten die geistige Reife von 14-Jährigen

Die jungen Frauen erklärten hingegen, der Mann habe sein Handy im Auto verloren. Weil er aggressiv geworden sei, seien sie weggefahren – aus Angst. Zweimal habe er die Möglichkeit gehabt abzuspringen, erklärten die Angeklagten. „Ich steckte fest, konnte mich nicht befreien“, schilderte hingegen der Mann die Situation.

Der Richter Ralf Rose und die beiden Schöffen des Jugendschöffengerichts glaubten den Ausführungen des Opfers. „Wie unbedarft Sie hier sitzen, kein Wort des Bedauerns. Ihnen ist offenbar nicht bewusst, wie gefährlich das ist, was Sie getan haben“, sagte Rose zu den Frauen. Besonders erschwerend sei die Tatsache, dass die Angeklagten den Verletzten einfach hätten liegen lassen und noch nicht einmal einen Rettungswagen gerufen hätten. Das wiege umso schwerer, da die Herrenbergerin aussagte, sie habe auf eine Versöhnung mit ihrem Freund gehofft. Mittlerweile sind sie auch wieder ein Paar.

„Sie beide haben die geistige Reife von 14-Jährigen“, attestierte der Richter den Angeklagten. Deshalb wurde die Jüngere, die am Steuer gesessen hatte, auch nach Jugendstrafrecht verurteilt. Die Beifahrerin aus Herrenberg war zum Tatzeitpunkt bereits 21 Jahre alt, deshalb kam Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung. Beide Frauen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, die für die Ersttäterinnen zur Bewährung ausgesetzt wurde: die Fahrerin zu 15 Monaten, die Anstifterin auf dem Beifahrersitz zu einem Jahr. Zudem müssen sie jeweils 100 Arbeitsstunden ableisten und dürfen zwei Jahre lang keinen Führerschein haben.