An der Tour de France rollt auch der Rubel mit: Das größte Radrennen der Welt beruht auf einem sehr speziellen und sehr lukrativen Geschäftsmodell, über das die private Organisatorin ASO gerne Stillschweigen bewahrt.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - „Le Tour“, wie Radler kurz sagen, ist ein einzigartiges Sportevent: Zwölf Millionen Zaungäste verfolgen es jedes Jahr vom Straßenrand aus, dazu kommt eine Milliarde Zuschauer am planetaren Bildschirm. Sie alle schauen zu, wie ein Pulk grell bekleideter Pedalentreter drei Wochen lang durch und um ein ganzes Land kurvt – 3540 Kilometer weit, um genau zu sein. Die Tour de France ist nach den Olympischen Spielen und der Fußball-WM die drittgrößte Sportveranstaltung.

 

Einzigartig ist aber auch das Geschäftsmodell. Organisiert wird das legendäre Radrennen nicht etwa von einem nationalen Sportverband, sondern seit 1947 von einem privaten Anbieter, der sich nicht gerne in die Karten schauen lässt. „Amaury Sport Organisation“ (ASO) gehört zum Familienkonzern Amaury, der von der Witwe Marie-Odile Amaury (77) geführt wird und unter anderem die Sportzeitung L’Equipe herausgibt. Weder ASO noch Amaury publizieren Zahlen. Der Umsatz der Tour de France wurde bei der 100. Ausgabe 2013 auf 150 Millionen Euro geschätzt und dürfte heute klar darüber liegen.

Bei den Amaurys schaut man aufs Geld – sie zahlen nur 2,3 Millionen Euro an Preisgeldern

ASO organisiert auch andere Radrennen in China und Katar, oder in Frankreich die traditionsreiche Kopfsteinpflaster-Tortur Paris – Roubaix. Drei Viertel des ASO-Umsatzes entfallen aber auf die Tour de France. Deren Gewinnmarge wird auf 15 Prozent geschätzt. Denn bei den Amaurys schaut man auf’s Geld. Sie zahlen insgesamt nur 2,3 Millionen Euro an Preisgeldern – 500 000 Euro für den Tour-Gewinner 2017, 11 000 Euro für Etappensieger und 1000 Euro für die Letzten, die das Ziel am 23. Juli erreichen. Das sind Brosamen im Vergleich zu den 36 Millionen Euro, die zum Beispiel das Pariser Tennisturnier Roland-Garros an Preisgeldern auszahlt. ASO hält dagegen, dass die Tour-Fahrer von ihren Teams entlohnt würden.

Außerdem genießen die Profiradler im Vorbeifahren ja schon die schönsten Postkartenbilder von Frankreich, könnte man zynischerweise anfügen. Damit läge man nicht einmal ganz falsch: Der Tourismus ist ein gewichtiges, ja das gewichtigste Argument der Tour-Veranstalter. Da an einem Radrennen kein Eintritt verlangt wird, müssen sie sich anderweitig schadlos halten. Am meisten verdient ASO mit den Fernsehrechten – 190 TV-Sender in aller Welt bringen Bilder von der Tour, 60 bei Direktsendungen. Und bei den stundenlangen Übertragungen mit Luftbildern von der Côte d’Azur über die Alpenpässe bis in die Bretagne interessieren sich die Zuschauer, wie Studien ergeben haben, nur zweitrangig für das sportliche Geschehen. „Wenn man die TV-Zuschauer befragt, warum sie die Tour verfolgen, nennen sie als erstes die schönen Landschaften und dann erst den Rennwettbewerb“, meint Gilles Dumas vom Marketingunternehmen Sportlab. Deshalb zieht ASO 60 Prozent der Einnahmen aus den Fernsehrechten.

Im TV ist die Tour de France ein mehrstündiger Reisefilm für ein Millionenpublikum

Den Rest bilden die Beiträge der Sponsoren (30 Prozent) und der Etappenorte (zehn Prozent). Die Sponsoren – vom „offiziellen Zeitmesser“ bis zu den fünf zahlungskräftigen „Partnern“ – erhalten millimetergenau kalkulierte Rechte und Ansprüche. Dazu gehört ein genau bestimmter Platz in der zwölf Kilometer langen Karawane aus 170 Fahrzeugen, die den Radfahrern vorausgeht. 18 Millionen Gegenstände werden der Menge während einer Tour zugeworfen – Wimpel und Gutscheine, Mützen und Schlüsselanhänger, Bonbons und Würstchen. Alles nach präzisem ASO-Drehbuch.

Einzelne Werber und Sponsoren waren in ausgesprochenen „Doping-Jahren“ zwar versucht, von der kommerziellen Karawane abzuspringen. Die meisten sind geblieben oder zurückgekommen. Die sportlichen Negativschlagzeilen, dazu auch die jüngste Absenz von Megastars wie Merckx, Poulidor oder Ullrich wiegen letztlich weniger als der Werbevorteil. Am Fernsehen betrachtet, ist die Tour de France ein mehrstündiger Reisefilm für ein Millionenpublikum. Mit einer Produktplatzierung, deren Dosierung mindestens so gekonnt ist wie das Doping.

Düsseldorf soll 4,5 Millionen Euro hingeblättert haben

Die Etappenorte müssen ihrerseits rund 100 000 Euro an Grundgebühren hinblättern. Selbst Stammgäste wie Alpe d’Huez mit seiner berühmten Bergankunft zahlen dreimal mehr, wenn die Tour wegen ihnen einen Umweg macht. Da der Zielort Paris mit den Champs-Elysées fix ist, zahlt der Ausgangspunkt umso mehr. Düsseldorf soll in diesem Jahr laut „Kölner Stadtanzeiger“ 4,5 Millionen Euro hingeblättert haben.

Klagen sind nicht zu hören. Bei jeder Ausgabe bewerben sich über hundert Orte, um entweder Start oder – noch besser - Ziel einer Etappe zu werden. Nur jeder vierte Kandidat wird berücksichtigt. Alle wissen: Der Imagegewinn und der Werbeeffekt eines auch nur mehrstündigen Halts sind groß; und dazu kommt die Übernachtung von 4000 Rennfahrern, Begleitern, Sponsoren und Medienleuten. Deshalb meinte ein Vertreter des Klostersfelsens Mont Saint-Michel (Normandie), Teil der Jubiläumstour von 2013: „Man kann sich nur schwer ein besseres Preis-Leistungsverhältnis vorstellen.“