Komfortable Wege, hochmoderne Garagen: Radfahren kann auch in Städten Freude machen. Wir zeigen, wie – und dass jede Stadt fahrradfreundlich werden kann. Wenn sie will.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Radfahrer in Ludwigsburg haben es nicht leicht. Egal, wo sie sich etwas mehr Raum wünschen: Die Debatten darüber werden stets erbittert geführt. Zuletzt war das wieder zu erleben, als es um das durchgängige Autoverbot in der Alleenstraße ging. Die Ausstellung „Fahr Rad“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt zeigt eindrucksvolle Beispiele davon, was andere Städte machen, um fahrradfreundlich zu sein oder zu werden. Stefanie Lampe hat die Schau mit kuratiert und kann die Ludwigsburger beruhigen: Streit gibt es fast überall, aber: Jede Kommune kann den Wandel schaffen – wenn sie will.

 

Was macht eine Kommune zur fahrradfreundlichen Stadt?

Pauschal lässt sich das nicht sagen, jeder Ort hat eine andere Ausgangssituation. Weit vorne sind auf jeden Fall die Niederlande. Exemplarisch ist die Dafne-Schippers-Brücke in Utrecht. Diese Brücke führt von einem schnell wachsenden Stadtteil ins Zentrum, das Dach einer Schule und die Architektur des dazugehörigen Parks fungieren als Auffahrt. Insgesamt ist das Fortkommen als Radfahrer in Utrecht sehr einfach. Die Wege sind ungewohnt breit, und die Orientierung fällt leicht.

Barcelona wiederum steht noch ziemlich am Anfang, hat aber einen großen Plan. Besonders ist dort der Dreiklang von Verkehrsplanung, Stadtplanung und Grünplanung. Es wurde erkannt, dass eine neue Aufteilung des Straßenraums einen Mehrwert für alle haben muss, dass simple rote Streifen für Radler nicht ausreichen.

Radwege lösen in Ludwigsburg immer Streit aus. Muss das sein?

So scheint es. Die Kuratoren der Frankfurter Ausstellung fanden nur ein Beispiel, wo ohne großes Theater mehr Fahrradplatz geschaffen wurde: Im niederländischen Groningen. Nach Autos sollen in den kommenden Jahren auch Busse aus der Stadt verdrängt werden – Proteste dagegen gibt es kaum. Allerdings haben die Groninger inzwischen auch viel Erfahrung mit neuer Mobilität: Die Innenstadt ist seit den 1970er Jahren komplett autofrei. Strecken in der Stadt lassen sich hier am bequemsten zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen, was das beste Argument für einen Umstieg ist.

Was sind die klassischen Argumente gegen mehr Platz für Fahrräder?

Auch die sind überall gleich. Zum einen wird angeführt, dass der Einzelhandel stirbt, wenn es weniger Parkplätze in der Innenstadt gibt. Allerdings gibt es viele Studien, die zeigen, dass das nicht stimmt. Auch Radfahrer und Fußgänger kaufen ein. Vielleicht nicht so viel, aber dafür öfter. Was auch zu bedenken ist: Wenn in einer Straße nicht so viel Verkehr herrscht, macht Shoppen an sich mehr Spaß. Ein weiteres Argument gegen mehr Platz für Radfahrer ist die sinkende Leistungsfähigkeit der Straße: Wenn man Autos eine Spur wegnimmt, können weniger Autos durch. Tatsächlich ist es aber so: Wenn man Autos eine Spur wegnimmt, nimmt meistens der Verkehr ab. Das ist schwierig zu vermitteln – aber, so die Erkenntnis der Ausstellungsmacher: Autofahrer sollten froh sein über jeden Radler. Denn der steht nicht im Auto daneben und verursacht keinen Stau.

Was ist nötig, damit sich in einer Stadt nicht alles ums Auto dreht?

Ohne einen Förderer in der Stadtverwaltung geht es nicht. Radvereine oder Radinitiativen können Anstöße liefern, aber die Umplanung einer Straße muss von der Verwaltung ausgehen, da sie für die Verkehrsplanung zuständig ist. Dass die Groninger Innenstadt in den 1970er Jahren autofrei wurde, lag an Max van den Berg, der den Verkehrsplan entwickelt hat. In New York war es die Verkehrsdezernentin Janette Sadik-Khan, die unheimlich viel angestoßen hat. Und in Karlsruhe pusht der Baubürgermeister Michael Obert den Ausbau zur „Fahrrad-Großstadt Nummer 1“.

Wo wurde ein beeindruckender Wandel geschafft?

In Kopenhagen. Die Stadt arbeitet seit 30 Jahren an dem Thema und ist deshalb schon einen Schritt weiter. Dort gibt es ein Pro-Kopf-Budget für die Radinfrastruktur. Und diese soll nicht nur sicher sein, sondern auch gestalterisch anspruchsvoll, um Freude am Radfahren zu vermitteln. Dazu gehören kleine Dinge wie Mülleimer, die in Richtung Radweg gekippt sind, damit man im Vorbeifahren Müll einwerfen kann. Oder Tritte für die Füße an Ampeln, damit Radler nicht absteigen müssen. Es gibt Brücken, auf denen Radler bequem durch die ganze Stadt kommen sowie beeindruckende Radparkhäuser.

Ludwigsburg bekommt 2019 auch ein Radparkhaus. Was ist daran so toll?

Radparkhäuser sind essenziell: Wenn Radler keinen Parkplatz haben, werden Räder wild geparkt, nehmen Platz weg – Radfahren wird negativ besetzt. Das weltweit größte Fahrradparkhaus wird Ende dieses Jahres 13 500 Räder fassen, es steht in Utrecht, ist hochkomfortabel und hochmodern mit digitalem Parkleitsystem. Die riesige Kapazität ist nötig, weil fast jeder Zug, der durch die Niederlande fährt, in Utrecht hält. An der Nørreport- Station in Kopenhagen stehen die Fahrräder zwar auf offenen Stellplätzen, doch die Flächen wurden um 40 Zentimeter abgesenkt. Die Räder stellen also keine visuelle Barriere dar, sondern wirken ästhetisch wie eine Insel.

Kann denn jede Stadt zur Freude für Radfahrer werden?

Ja, wenn sie will. Sehr schön ist das in Portland im US-Bundesstaat Oregon zu sehen. Amerika ist definitiv keine Radfahrnation, aber trotzdem hat es Portland geschafft, dass immerhin sieben Prozent der Bürger ihre Wege mit dem Fahrrad zurücklegen. Entscheidend dafür war die Orange Line. Eigentlich ist das eine S-Bahn-Linie, die durch die Stadt führt. Doch von Anfang an war klar, dass die Strecke intermodal, also auch für den Rad- und Fußverkehr geplant wird. Es gibt deutliche markierte Routen und sorgsam gestaltete Grenzen zwischen den Verkehrsflächen. Der Radweg verläuft parallel neben der Bahnlinie, und an jedem Bahnhof gibt es Abstellmöglichkeiten für Räder – so dass man als Radfahrer jederzeit das Verkehrsmittel wechseln kann. So ist das Fahrradfahren auch in einer Flächenstadt eine Alternative.