Zwischen Kappelberg und Hartwald ist unsere Mitarbeiterin Brigitte Hess täglich und so gut wie ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs. Das ist nicht immer ungefährlich. Manche Fahrt in Fellbach wird da schon mal zum Horrortrip – etwa auf der Bahnhofstraße.

Fellbach - Man beschimpft mich, weist mich zurecht, rückt mir viel zu dicht auf die Pelle, stellt sich mir in die Quere und hat sogar schon Jagd auf mich gemacht. Als notorische Radlerin, die bei Wind und Wetter, tagsüber und auch nachts auf Fellbachs Straßen unterwegs ist, erlebt man unglaubliche Situationen. Gut, wenn da der persönliche Schutzengel auf Zack ist.

 

Aber als vollwertige Verkehrsteilnehmer werden Menschen auf zwei Rädern nicht behandelt

Etliche Autofahrer scheinen Radfahrer nämlich prinzipiell nicht zu mögen. Eigentlich verstehe ich das nicht, denn fast jeder radelt doch zumindest in seiner Freizeit gerne mal durch Wald und Flur – in Zeiten von Corona hat ja der Absatz von E- und sonstigen Bikes geboomt. Aber als vollwertige Verkehrsteilnehmer werden Menschen auf zwei Rädern nicht behandelt. In manchem Autofahrer scheint sogar der Jagdinstinkt zu erwachen, wenn er einen Radler sieht.

Als die Pfarrer-Sturm-Straße vor Jahren zur Fahrradstraße erklärt wurde, hatte ich dort einige ziemlich krasse Erlebnisse. Zweimal hielten entgegenkommende Autofahrer direkt auf mich zu und schlugen erst im letzten Moment einen Haken auf „ihre“ Fahrbahnseite. Ganz nach dem Motto: Ich bin stärker, weg da, die Straße gehört immer noch den Autos! Beide Male saßen sehr junge Fahrer am Steuer, die sich dann mit ihren Mitinsassen bogen vor Lachen – super Scherz, echt!

Rechts vor links auf die Pfarrer-Sturm-Straße einbiegende Autos: Das war fast der Normalfall und hat sich erst gebessert, als ein dickes rotes Stopp auf die Fahrbahn gemalt wurde. Allerdings fahren viele Autofahrer von den querenden Straßen so flott auf die Fahrradstraße zu, dass man auf zwei Rädern lieber mal bremst: Hält er oder hält er nicht? Im Zweifelsfall hat man dann rechtzeitig den Fuß am Boden.

Sehr gerne wird der Radweg auch als Kurzparkzone genutzt

Auf den Radwegen unterwegs zu sein, die es auf vielen Straßen gibt, ist auch nicht das reine Vergnügen. Aus Seitenstraßen schießen Autofahrer mit der Schnauze bis auf den Radweg, schließlich wollen sie etwas sehen. Manch einer setzt zurück, wenn er sieht, da kommt ja ein Radler. Das nützt aber auch nichts mehr, entweder hat man schon zum großen Ausweichschlenker angesetzt oder gleich eine Vollbremsung hingelegt. Ab und zu zieht schon mal ein Autofahrer von der Gegenfahrbahn bis auf den ihm gegenüberliegenden Radweg: Er will in die Einfahrt vor seinem Haus und drängt den verschreckten Radler erst mal auf den Bürgersteig, um selbst das Heck von der Straße zu bekommen.

Sehr gerne wird der Radweg auch als Kurzparkzone genutzt. Ob DHL-Fahrzeuge, Handwerker-Vans oder Eltern, die mal kurz ihre Kinder aus dem Auto lassen oder Einkäufe abladen – der Radler muss Slalom fahren und immer wieder auf den Bürgersteig ausweichen. Dort „freuen“ sich dann die Fußgänger. Fast schon üblich ist inzwischen, dass man die Müllbehälter auf dem Radweg bereitstellt, und im Winter schaufeln Anwohner den Schnee vom Bürgersteig – wohin? Natürlich auf den Radweg.

Wirklich die allergrößte Freude macht das neue Konzept in der Bahnhofstraße

Dass Autotüren unvermittelt aufgerissen werden, ohne dass sich Fahrer oder Beifahrer nach einem eventuell daher kommenden Radfahrer umschauen – daran hat sich jeder Radler längst gewöhnt und rechnet quasi ständig damit. Eine Gruppe miteinander ins Gespräch vertiefter Menschen benutzt Fuß- und Radweg gerne in voller Breite – geschenkt, sie reagieren immerhin meist auf die Klingel und nuscheln noch „’Tschuldigung!“

Wirklich die allergrößte Freude macht das neue Konzept in der Bahnhofstraße, wo bei Tempo 30 auf ein gleichberechtigtes Miteinander von Rad- und Autofahrern gesetzt wird. „Das ist ja lebensgefährlich, ich benutze immer noch den vorhandenen Radweg“, höre ich oft. Aber das ist eigentlich nicht mehr erlaubt, die Radwege sollen in naher oder fernerer Zukunft auch optisch den Bürgersteigen zugeschlagen werden. Ich persönlich fühle mich auf dem Rad eigentlich überall sicher – aber auf der Bahnhofstraße habe ich wirklich Schiss. Sie gehört immer noch den Autofahrern, und das zeigen sie mit der geballten Kraft zwischen zwei Stoßstangen – oder verbal.

Ich habe Angst, dass er mich gleich auf die Stoßstange nimmt

Auch wer grundsätzlich die Fahrradstraße nutzt – irgendwann muss er mal auf die Bahnhofstraße, weil er dort einkaufen oder zur Bank, zum Arzt oder sonst wo hin will. Ich hatte mir gemäß der neuen Regelung vorgenommen, die Fahrbahn gemeinsam mit den Autofahrern zu teilen, aber nachdem ich mehrfach mit „weg da, du alte Kuh, dort drüben ist der Radweg“ aus offenen Autofenstern heraus beschimpft wurde, flüchte ich doch ab und zu – beispielsweise gleich an der Engstelle am Zebrastreifen nach der Unterführung – auf die ehemalige Radspur. Dort verteidigen nun aber – verständlicherweise – die Fußgänger ihre neu gewonnene Freiheit und weisen mich zurecht: „Sie müssen doch jetzt auf der Straße fahren!“

Das nächste Mal also wieder auf die Straße. Von hinten brummt ein dicker Bus heran. Wie soll der den vorgeschriebenen Mindestabstand zum Radler von 1,5 Metern beim Überholen einhalten? Er bleibt dicht hinter mir. Ich habe Angst, dass er mich gleich auf die Stoßstange nimmt und Richtung Kappelberg schiebt, und mache ihm Platz, indem ich doch wieder auf meine „Schutzzone Radweg“ flüchte. Dazu kommt der Parksuchverkehr in dieser stark frequentierten Einkaufsstraße: Radler können ganz schön flott unterwegs sein, und E-Biker sowieso. Trotzdem wird man – nicht nur – auf der Bahnhofstraße regelmäßig von Autos überholt, die dann direkt und ohne zu blinken, nach rechts in eine freie Parklücke ziehen. Da hilft nur noch geistesgegenwärtig bremsen und abspringen. Und wenn hier Fahrertüren unvorsichtig aufgerissen werden, fliegt man direkt auf die Straße vors nächste Auto.

Das Rad-Konzept Bahnhofstraße ist meiner Erfahrung nach gescheitert. Jeder Fahrradfahrer kann hier ein Erlebnis beisteuern. Der Traum wären eigene Radtrassen, die für Autos tabu sind – so wie es die klassischen Radfahrer-Kommunen zeigen. Vor allem, wenn man will, dass noch mehr Menschen aufs Rad umsteigen und der Autoverkehr in den Städten endlich weniger wird. Denn Spaß macht das Autofahren in der Stadt schließlich doch auch fast keinem.