Die Initiative „Critical Mass“ ruft jeden ersten Freitag im Monat zu einer Fahrrad-Demo auf. Diesmal radelt der Tross auch durch Zuffenhausen und die Unterländer Straße. Die örtliche Fahrrad-Offensive hat sie eingeladen und engagiert sich auch für bessere Verhältnisse für die Radler vor Ort.

Zuffenhausen - „Ritzel statt Rußpartikel“ heißt an diesem Freitag wieder das Motto. Hunderte Radfahrer sind vermutlich heute Abend trotz des nicht mehr so frühlingshaften Wetters wieder unterwegs und setzen sich für mehr Raum für Radler im Straßenverkehr ein. Zu dieser Form der Demonstration ruft die Bürgerinitiative Critical Mass jeden ersten Freitag im Monat auf. Und der Zuffenhäuser Pfarrer Dieter Kümmel freut sich auf den aktuellen Abend ganz besonders. Denn die „kritische Masse“ bewegt sich von 18.30 Uhr an wie ein Schwarm vom Feuersee in Richtung Zuffenhausen. Erst geht es durch die Innenstadt, später auf die Heilbronner Straße weiter in Richtung Norden. Von dort rollt die von Polizeifahrzeugen eskortierte Fahrrad-Kolonne auf der B 27 in Richtung Pragsattel und anschließend wieder den Hügel hinab in Richtung Friedrichswahl und Zuffenhausen.

 

Die kurzfristige Umkehr der Machtverhältnisse

Kümmel erwartet den Tross gegen 20.30 Uhr vor der Pauluskirche als Zielort. Seinen Segen hat die Aktion in jedem Fall. Denn für den evangelischen Pfarrer und die Genossen von der „Fahr-Rad! Offensive Zuffenhausen“ ist ein Freitagabend wie dieser quasi ein Feiertag. Denn er bedeutet kurzzeitig die Umkehrung der sonst gültigen Machtverhältnisse im Straßenverkehr Stuttgarts und bildet eine Gegenbewegung zur alltäglichen Blechlawine im Stadtbezirk: „Für kurze Zeit dominieren dann auf der Straße die Radfahrer“, sagt Kümmel. Übrigens nicht nur optisch, sondern auch akustisch: Denn irgendwo in dem Zweirad-Rollkommando fahren auch Lautsprecherboxen und eine Soundanlage mit, um der kritischen Masse im Lärm des städtischen Straßenverkehrs auch entsprechend Gehör zu verschaffen.

Nach Ansicht von Pfarrer Dieter Kümmel hat sich die Situation eher verschlechtert

Einmal abgesehen von diesem Ausnahmezustand malt der passionierte Fahrradfahrer Dieter Kümmel eher ein düsteres Bild von der Alltagssituation der Pedaleure in seinem Stadtbezirk: „Ich bin jetzt 18 Jahre mit dem Fahrrad in Zuffenhausen unterwegs und kann es eigentlich niemandem guten Gewissens raten, hier Fahrrad zu fahren – außer er ist wirklich darin sehr geübt.“ Früher seien noch mehr ältere Menschen und auch Jugendliche Fahrrad im Stadtbezirk gefahren. Heute komme kaum mehr ein Konfirmand mit dem Fahrrad zum Katechismusunterricht. Und zwar aus gutem Grund. Größer, stärker, höher, schneller und breiter seien die Autos heute im Vergleich zu früher. Sie kommen plötzlich aus Parklücken oder Fahrertüren gehen auf und ragen dann in die Fahrbahn: „All das birgt gewisse Gefahren“, sagt Kümmel. Unterdessen mache die Stadt Werbung fürs Radfahren, wolle den Ausbau des Radwegnetzes vorantreiben. Im Haushalt sind 11,2 Millionen Euro für Maßnahmen bereitgestellt, aber „es ist dennoch schizophren: Denn nach meinem Empfinden hat sich die Situation eher verschlechtert“, meint Kümmel.

„Es passt einfach nicht zur öffentlich verlautbarten Fahrradpolitik“, sagt auch Hans-Georg Kerler von der Initiative, der zudem Bezirksbeirat ist. Nachholbedarf und Verbesserungsbedarf sehen sie an vielen Stellen in Zuffenhausen – genauso wie ihre Mitstreiter Georg Kosubek und Kurt Süpfle, die sich in der Zuffenhäuser Fahrrad-Offensive engagieren. Die Freigabe der Einbahnstraßen für Radler in beide Fahrtrichtungen sei ein altes Thema. Seit sieben Jahren werde das schon angekündigt, sagt Kerler. Es habe auch im Bezirksbeirat geheißen, man werde jede Straße einzeln prüfen und dann entscheiden: „Aber es tut sich nichts.“

Dabei gebe es viel Potenzial in dem engmaschigen Zuffenhäuser Straßennetz zwischen Zabergäu- und Hohensteinstraße. Andere Kommunen seien in puncto Radverkehrsplanung weiter. Kosubek konstatiert: „Zur Zeit ist es ein Flickwerk.“ Und das betrifft nicht nur die örtlichen Radwege und Fahrradstreifen, die an diversen Stellen lückenhaft sind.

Wie bei einem schlecht geölten Ritzel

Auch bei der neu gestalteten Unterländer Straße seien die Belange der Radfahrer zu wenig berücksichtigt worden. Vor allem bergauf sei die Einkaufsstraße für Radfahrer ein Problem, sagt Kümmel. Von hinten drängeln Autos, zudem müsse man seitlich und in der Mitte geparkte Fahrzeuge im Auge haben. Das ist lebensnotwendig: „Es geht halt sehr eng zu“, so Kümmel. Die Pflastersteine als Belag hätten nicht lange gehalten, stattdessen ist jetzt geteert: „Doch Asphalt bedeutet mehr Tempo auf der Unterländer Straße.“

So gibt es vielerorts Versäumnisse und Fehler bei der Planung einer radfreundlicheren Stadt. Natürlich spiegeln sich auch die kommunalpolitischen Mehrheitsverhältnisse wider: „Ja schon, aber das darf nicht auf Kosten des motorisierten Individualverkehrs gehen, sagt oft die andere politische Seite“, wenn es um konkrete Maßnahmen und Verbesserungen für Radfahrer gehe, berichtet der stellvertretende SPD-Bezirksbeirat Kerler. So knirscht und klemmt es nach Ansicht der örtlichen Offensive bei der Radverkehrsplanung an einigen Stellen gewaltig – eben wie bei einem schlecht geölten Ritzel.