Wenn sich Radfahrer und Autofahrer die Straße teilen, sind Konflikte keine Seltenheit. Ein besonders sensibles Thema ist vor allem der Abstand beim Überholen von Radfahrern. Alle Infos über die geltenden Abstände und aktuelle Regelungen haben wir für Sie zusammengefasst.

Inhalt:

Im Jahr 2019 kamen in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt noch etwa 445 Radfahrer bei Verkehrsunfällen ums Leben. Obwohl die gesamte Anzahl der Verkehrstoten in den letzten Jahren gesunken ist (16,5 Prozent niedriger seit 2010), stieg die Zahl der getöteten Radfahrenden im Straßenverkehr bis 2019 (16,8 Prozent höher seit 2010). Neue Regelungen in der Straßenverkehrsordnung seit April 2020 sollen den Straßenverkehr für Radfahrer sicherer machen.

 

Ein leichter Rückgang der getöteten Fahrradfahrer ist seit dem zu beobachten (1), denn im Jahr 2021 sank die Zahl auf 372. Die wichtigste Neuregelung der StVO-Novelle seit April 2020 ist dabei der nun geltende Mindestabstand von 1,50 Metern beim Überholen von Radfahrern. Auf was muss nun aber genau beim Überholen von Radfahrern geachtet werden und wie sieht jetzt der Alltag im Straßenverkehr aus?

Radfahrer überholen – Wann gelten 1,5 Meter Abstand?

Während das Überholen von Radfahrern früher nur mit einem "ausreichenden Sicherheitsabstand" vorgeschrieben war, hat sich die StVO (Straßenverkehrsordnung) seit April 2020 nun auf eine konkrete Zahl festgelegt. 1,50 Meter Seitenabstand müssen jetzt innerorts beim Überholen von Radfahrern eingehalten werden (das gilt übrigens auch bei einspurigen Fahrzeugen wie Motorrädern, Roller oder Mofas). Der Abstand gilt vom Radfahrer und nicht von der Radweglinie.

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Radfahrer überholen – Wann gelten 2 Meter Abstand?

Ergänzt wird der Seitenabstand beim Überholen von Radfahrern durch Ausnahmen. Dann gelten sogar 2 Meter Sicherheitsabstand. Der neue Mindestabstand von 2 Metern muss eingehalten werden, wenn:

- Ein Radfahrer außerorts überholt wird.
- Sich innerorts ein Kind auf dem Fahrrad befindet.
- Der Radfahrer innerorts einen Anhänger hat.

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Radfahrer überholen oft nicht möglich

Im Verkehrsalltag bleibt den Autofahrern nun allerdings oft nur noch selten die Möglichkeit zum Überholen von Radfahrern. Während früher "nach Gefühl" überholt werden konnte, ist ein Überholen von Radfahrern auf vielen Straßen nun nicht mehr möglich. Rechnet man alle vorgeschriebenen Abstände zusammen, bleibt wie folgt nicht mehr viel von der Straße übrig:

- 1 Meter Gefahrenbereich zwischen Rad und parkenden Autos
- 80 cm Fahrradbreite
- 1,5 bis 2 Meter Sicherheitsabstand beim Überholen

Über 3 Meter Platz benötigt nun also ein Radfahrer mindestens auf der Straße. Da viele Straßen in Städten diesen Platz beim Überholen baulich oder bedingt durch den Gegenverkehr nicht bieten, bleibt Autofahrern nun nichts anderes mehr übrig, als sich hintenanzustellen.

Die Praxis zeigt jedoch, dass die Abstände beim Überholen im Alltag nicht immer eingehalten werden. Im Rahmen eines Projektes der DHBW Stuttgart haben Studenten etwa 400 Überholvorgänge in der Innenstadt Stuttgarts mit Sensoren bei Testfahrten auf Fahrrädern gemessen. Die Auswertung zeigte, dass etwa 80 Prozent der Autofahrer den Mindestabstand beim Überholen der Radfahrer nicht einhielten.

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Rechte und Pflichten des Radfahrers

Radfahrer dürfen wartende Autos, wie zum Beispiel an Ampeln, rechts überholen (Abs. 8 § 5 StVO). Allerdings nur mit mäßiger Geschwindigkeit und besonderer Vorsicht. Ansonsten gilt für Radfahrer im Straßenverkehr das Rechtsfahrgebot, denn auch Radfahrer haben Pflichten. Bremst ein Radfahrer durch seinen Fahrstil bewusst Autofahrer aus, indem er zum Beispiel mittig auf der Fahrbahn fährt, verstößt er gegen das Rechtsfahrgebot. Bei entsprechender Beweislage (Zeugen oder Videoaufnahme) kann dies sogar als Nötigung gewertet werden.

Durch das Rechtsfahrgebot müssen Radfahrer schnelleren Fahrzeugen auch das Überholen ermöglichen. Haben mehrere Fahrzeuge aufgeschlossen und ein Überholen ist für längere Zeit nicht möglich, sind auch Radfahrer als Teilnehmer am Straßenverkehr verpflichtet, an geeigneter Stelle (Seitenstreifen oder Bushaltestelle) anzuhalten und die aufgeschlossenen Autos passieren zu lassen (Abs. 6 § 5 StVO).

Abstände beim Überholen von Autos

Sicherheitsabstände gelten übrigens auch beim Überholen von Autos. Genau ist der Abstand in der Straßenverkehrsordnung zwar nicht festgelegt, allerdings wird ein Mindestabstand von 1 Meter bei fahrenden und 80 cm bei stehenden Autos empfohlen.

Was hat sich für Radfahrer noch geändert?

Mit der StVO-Novelle hat sich seit April 2020 natürlich nicht nur der Abstand beim Überholen von Radfahrern verändert. Weitere Regelungen fördern ebenfalls den Schutz von Fußgängern und Radfahrern. Hier ein Überblick der wichtigsten neuen Regelungen zur Stärkung des Radverkehrs (2):

- Nebeneinanderfahren mit Fahrrädern:

Durch die Neufassung wurde auch klargestellt, dass das Nebeneinanderfahren von Radfahrern gestattet ist. Wenn andere Verkehrsteilnehmer behindert werden, muss allerdings hintereinandergefahren werden.

- Schrittgeschwindigkeit für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t:

Für rechtsabbiegende Kraftfahrzeuge über 3,5 t ist nun innerorts Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben.

- Personenbeförderungen auf Fahrrädern:

Personen dürfen nun auf Fahrrädern mitgenommen werden, wenn diese dafür eingerichtet sind und der Radfahrer mindestens 16 Jahre alt ist.

- Grünpfeil für Radfahrer:

Die Grünpfeilregelung wurde auf Radfahrer ausgedehnt. Hierfür wurde ein Verkehrszeichen mit gesondertem Grünpfeil für Radfahrer eingeführt.

- Generelles Halteverbot auf Schutzstreifen:

Früher durfte an Schutzstreifen für Radverkehr bis zu 3 Minuten geparkt werden. Nun gilt hier ein generelles Halteverbot.

- Einrichtung von Fahrradzonen:

Analog zu den Tempo-30-Zonen können nun auch Fahrradzonen angeordnet werden, die sich an den Regelungen der Fahrradstraßen orientieren.

- Ausweitung des Parkverbots vor Kurven:

Wenn an Kurven ein straßenbegleitender baulicher Radweg vorhanden ist, darf bis zu je 8 Metern zum Kurvenschnittpunkt nicht mehr geparkt werden.

- Vereinfachung für Lastenfahrräder:

Ein Schild für Lastenfahrräder wurde ebenfalls eingeführt. Straßenverkehrsbehörden können dies für die Einrichtung von Parkflächen und Ladezonen für Lastenfahrräder nutzen.

- Verkehrszeichen für Radschnellwege:

Zu den Schildern ist ebenfalls ein Verkehrszeichen für Radschnellwege hinzugekommen. Dies ermöglicht die Kennzeichnung von Radschnellwegen unabhängig von der Fahrbahnbeschaffenheit.

- Überholverbot von einspurigen Fahrzeugen:

Straßenverkehrsbehörden haben nun die Möglichkeit, Überholverbote von einspurigen Fahrzeugen (u.a. Fahrräder) anzuordnen.

- Mehr Möglichkeiten für Erprobungen:

Einige Länder hatten bereits die Möglichkeit verkehrssichernde Maßnahmen im Straßenverkehr zeitlich begrenzt zu erproben. Die aktuelle StVO-Novelle vereinfacht solche Erprobungen.

Fazit – Unfälle durch Rücksicht vermeiden

Die Bedeutung von Fahrrädern bei der städtischen Mobilität wächst stetig. Allerdings ist die Verkehrsinfrastruktur in vielen Städten der Zunahme des Radverkehrs nicht gewachsen. Ziel von vielen neuen Regelungen der StVO-Novelle ist der Schutz von schwächeren Verkehrsteilnehmern wie Fußgängern und Fahrradfahrern. Im Verkehrsalltag birgt die Begegnung von Radfahrern und Autofahrern dennoch Konfliktpotenzial. Im Rahmen des Berliner Projektes Radmesser (Kapitel 6/Folie 7) gaben von 5000 befragten Radfahrern 90 Prozent an, dass die größte Angst im Straßenverkehr das zu enge Überholen von Autos ist. Ein Perspektivenwechsel hilft für Verständnis und entspanntere Begegnungen.