Radikalenerlass Betroffene von Kretschmann enttäuscht
Winfried Kretschmanns offener Brief zum Radikalenerlass greift für Opfer und Gewerkschaften zu kurz. Sie pochen weiter auf Rehabilitierung und materielle Entschädigung.
Winfried Kretschmanns offener Brief zum Radikalenerlass greift für Opfer und Gewerkschaften zu kurz. Sie pochen weiter auf Rehabilitierung und materielle Entschädigung.
Der offene Brief von Winfried Kretschmann zum Radikalenerlass ist bei Betroffenen und Gewerkschaften auf ein kritisches Echo gestoßen. Die Betroffenen-Initiative begrüßte, dass sich der Ministerpräsident nun endlich dazu äußere und zum Gespräch einlade. Zugleich zeigte sie sich enttäuscht, dass seine Stellungnahme weder eine Entschuldigung noch eine Rehabilitierung enthalte und eine mögliche Entschädigung nicht einmal andeute. Kretschmann hatte sein Bedauern über den vor 50 Jahren ergangenen Erlass und dessen teilweise überzogene Umsetzung geäußert.
Aus Sicht der Betroffenen meint der Regierungschef, dass es etlichen der damals Verfolgten „ganz recht geschehen“ sei. Damit bleibe er hinter der Aufarbeitung des Erlasses durch Historiker der Uni Heidelberg zurück, die ein generelles Unrecht konstatierten; dies habe auch die Internationale Arbeitsorganisation so gesehen. Der federführende Historiker Edgar Wolfrum erklärte, die Wissenschaft könne hoch zufrieden sein, „wenn ihre Forschungen einen politischen und gesellschaftlichen Prozess in Gang setzen“. Welche Folgerungen man daraus ziehe, sei eine „rein politische Entscheidung“. Die Betroffenen setzen nun auf das Gespräch mit Kretschmann; man hoffe, bei den offenen Forderungen „spürbare Fortschritte“ zu machen. „Wir haben nicht mehr viel Zeit.“
Auch die Gewerkschaften zeigten sich enttäuscht von der Stellungnahme. Diese enthalte „gerade mal ein flaues Bedauern“ über zigfach begangenes Unrecht, kritisierte der DGB-Landeschef Kai Burmeister. Es sei „ein Armutszeugnis“, dass der Ministerpräsident angesichts der eindeutigen Faktenlage nicht zu einer Rehabilitierung bereit sei. Mit Blick auf die „herben materiellen Einbußen“ von Betroffenen forderte Burmeister einen Entschädigungsfonds. Der Verdi-Landeschef Martin Gross bedauerte, dass Kretschmann nicht auf Begriffe wie Verblendung und Verirrung verzichten könne. Verblendet und verirrt sei eher eine Politik gewesen, bei der Hans Filbinger trotz seiner Nazi-Vergangenheit Ministerpräsident werden konnte, aber ein Kommunist nicht Briefträger.