Erst die Betroffenen, nun die Gewerkschaften: Regierungschef Kretschmann wird immer mehr gedrängt, sich zum Radikalenerlass zu äußern. Doch eine neue Studie will er erst gründlich auswerten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wird immer stärker gedrängt, den 50 Jahre alten Radikalenerlass neu zu bewerten. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert ihn nun auf, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen und diese zu entschädigen. In einem Brief des DGB-Landeschefs Kai Burmeister an ihn heißt es, die wissenschaftliche Aufarbeitung durch die Universität Heidelberg stütze den Eindruck, dass der „überwiegenden Zahl“ der Betroffenen zu Unrecht der Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrt worden sei. Daher sei es nun Zeit für eine Rehabilitation und eine Entschuldigung durch die Landesregierung.

 

Die Berufsverbote seien „ein Unrecht, das nicht wiedergutzumachen ist“, schreiben Burmeister und die Chefs der Gewerkschaften Verdi und GEW, Martin Gross und Monika Stein. Dies müsse das Land anerkennen und sich zu einer „materiellen Entschädigung“ bereit erklären. „Die Zeit des Abwartens ist jetzt vorbei“, betont der DGB-Landeschef.

Regierung ist noch am Auswerten

Auch die Betroffenen warten seit Wochen auf eine Reaktion des Ministerpräsidenten. Kretschmann hatte im Januar erstmals signalisiert, im Einzelfall für das Land um Entschuldigung zu bitten. Zugleich verwies er auf die damals noch ausstehende Untersuchung durch die Universität Heidelberg, die vom Wissenschaftsministerium in Auftrag gegeben worden war. Erst wenn diese vorliege, sei eine weitere Bewertung möglich. Kretschmann war einst selbst vom Radikalenerlass betroffen, gelangte mit Glück und guten Fürsprechern aber doch noch in den Staatsdienst. „Wir werten die Ergebnisse der Studie derzeit aus“, erklärte der Ministerpräsident am Freitag laut einem Sprecher. „Aufbauend darauf werde ich entscheiden, wie wir weiter mit diesem Thema umgehen.“