Bald sollen schwach radioaktive Reststoffe vom Atomkraftwerk Neckarwestheim im Kreis gelagert werden. Das Thema ist heikel, auch die Politik wirkt ratlos.

Schwieberdingen/Vaihingen - Man stelle sich vor, das Christkind würde nun, mitten im Sommer, bis auf weiteres ein Weihnachts-Moratorium verhängen. „Bis auf weiteres wird es keinerlei Weihnachtsfeierlichkeiten geben“ – so oder ähnlich läse sich die Pressemitteilung. Dann, irgendwann im Dezember, würde dieses Moratorium rückgängig gemacht. Tenor: „Es führt kein Weg daran vorbei, dass am 24. Dezember Weihnachten gefeiert wird.“

 

Klingt komisch? Manchem politischen Beobachter aus dem Kreis Ludwigsburg kommt das Moratorium, das der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) jüngst verhängt hat, ähnlich merkwürdig vor. Vor rund vier Wochen ließt der Minister verkünden, dass „bis auf weiteres“ kein schwach radioaktiver Schutt aus dem Rückbau von Kernkraftwerken auf den Deponien im Land (siehe „Große Mengen rollen an“) abgelagert werden solle. Das freute viele Schwieberdinger, die mit etwa 1500 Tonnen dieser immer noch radioaktiven Stoffe auf der Deponie Froschgraben rechnen müssen.

„Wollen die Sache nicht aussitzen“

Allein: das Moratorium kommt seltsam früh. Denn vor dem Frühjahr 2017 – so die Auskunft der Behörden noch im zurückliegenden Frühjahr – hatte niemand mit solchen Lieferungen gerechnet. Ralf Heineken, der Sprecher des Umweltministers, widerspricht: „Dass gerade keine Transporte anstehen, ist ein glücklicher Zufall, aber es ist sicher kein Argument, das Problem auszusitzen.“

„Typisch Politiker“, mag der Politikerverdrossene denken. Aber diese Form von Aktionismus ist wohl eher ein Beleg dafür, dass auch die Politik beim Umgang mit dem leicht radioaktiven Bauschutt aus stillgelegten Atomkraftwerken ziemlich verunsichert ist.

Ministerium „führt eine Klärung herbei“

Dabei weiß im Moment noch niemand, wie lange dieses Moratorium überhaupt hält. Denn zurzeit ist das Ministerium dabei, eine kritische Frage der Schwieberdinger Initiative „Froschgraben freigemessen“ fachlich klären zu lassen: Dürfen auf einer Deponie, in der solche schwach radioaktiven Stoffe lagern, nachdem sie stillgelegt ist, Ackerflächen als Nachnutzung zugelassen werden? Genau das hatte das Stuttgarter Regierungspräsidium (RP) der Kreis-Abfallverwertung AVL erlaubt. Mit der Genehmigung dieser Nachnutzung stellte man sich (es ist anzunehmen: unbewusst) in Widerspruch zu einer Empfehlung der Bundesstrahlenschutzkommission. Die dortigen Experten raten dringend davon ab – rechtlich bindend ist das aber nicht.

Beim RP sieht man deshalb keinen Grund, die Genehmigung zu widerrufen. Das Ministerium sei „derzeit dabei, eine Klärung herbeizuführen“, teilt ein Sprecher der Behörde mit. Konkret dürfte das heißen: der Minister will abwarten, was die beiden Gutachter herausfinden, die auf der Deponie Froschgraben – jeweils einer im Auftrag der AVL und der Gemeinde – die Strahlenbelastung überprüfen wollen.

Strahlende Zinnschlacke aus dem Südschwarzwald

Je nach den Ergebnissen und deren Bewertung durch die Behörden könnte am Ende etwas passieren, was den Schwieberdingern nicht gefallen dürfte: Im Umweltministerium werden für die Deponien im Land Register geführt, in denen auch Obergrenzen für radioaktive Abfälle festgelegt sind. Bislang gibt es dazu zwei getrennte Bereiche: einmal für Bauschutt aus atomaren Anlagen, einmal für Schutt mit natürlicher Strahlenbelastung.

Genau von diesem Typus wurden aber unlängst rund 5000 Tonnen in der Vaihinger Deponie Burghof abgelagert. Es handelte sich um Zinnschlacke, die bei der Gewinnung von Seltenen Erden für die Handyproduktion entstehen. Nun fragt sich, so hört man, offenbar auch das Umweltministerium, warum die AVL auch diese, offenbar zumindest teilweise aus dem Kongo stammenden Stoffe unbedingt annehmen musste – immerhin war der Kreis Waldshut in der Entsorgungspflicht, weil dort die betreffende Firma ihren Sitz hat.

Zwei Paar Stiefel?

Und in Vaihingen gibt es Stimmen, die nun mutmaßen, dass mit der Großlieferung aus dem Südschwarzwald das Kontingent für strahlende Abfälle schon aufgebraucht sei. Die Folge wäre: der komplette Schutt aus Neckarwestheim müsste auf dem Froschgraben in Schwieberdingen landen. Beim Ministerium verweist man darauf, dass Bauschutt aus Atomanlagen nicht wie Schutt mit natürlicher Radioaktivität zu behandeln sei, beide Stoffe würden „davon unabhängig betrachtet“.

Die Antwort des Landratsamts klingt eher zurückhaltend – oder sogar ein wenig verunsichert. Die Annahme, dass der Burghof in Vaihingen voll sei und deshalb der radioaktive Schutt komplett in Schwieberdingen lande, „stimmt unseres Erachtens so nicht“, teilt der Behördensprecher Andreas Fritz mit. Alle Antworten stünden aber „unter Vorbehalt der Vorläufigkeit“.

Große Mengen rollen an

Deponien
Auf die beiden Erddeponien Froschgraben (Schwieberdingen) und Burghof (Vaihingen/Enz, Stadtteil Horrheim) rollen große Mengen schwach radioaktiven Bauschutts zu. Rund 3300 Tonnen so genannter freigemessener Abfälle aus dem Rückbau des Kernkraftwerks Neckarwestheim müssen im Landkreis Ludwigsburg auf Deponien gelagert werden. Das liegt daran, dass das Kraftwerk großteils auf der Gemarkung von Gemmrigheim – und damit im Kreis Ludwigsburg – liegt.

Methode
Die überwiegende Menge des Bauschutts aus stillgelegten Atomkraftwerken gilt als freigemessenes Material. Das bedeutet, dass die Strahlenbelastung rein rechnerisch so gering ist, dass die Stoffe wie regulärer Bauschutt gelagert werden dürfen.