Am Sonntag endet die Straßenkarriere des Tour-de-France-Siegers Bradley Wiggins. Mit einem Sieg beim Kopfsteinklassiker Paris-Roubaix will er sich verabschieden, auf die Bahn zurückkehren und sich auf die Olympischen Spiele 2016 vorbereiten.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Im Winter hat Bradley Wiggins ein bisschen in seiner Vergangenheit gekramt. Der Brite hat alte VHS-Kassetten mit diversen Ausgaben des Rennens Paris-Roubaix hervorgeholt, die er Mitte der 1990er Jahre aufgenommen hat. Wiggins, das muss man wissen, ist ein wandelndes Lexikon, wenn es um diesen mythischen Eintagesklassiker geht. Die Schlacht auf Kopfsteinpflaster zog ihn schon als Jugendlichen in seinen Bann. Neben den Videos hat er auf der Zeitreise in seine Kindheit auch noch in alten Ausgaben des Magazins „Cycling Weekly“ geblättert, so hat er es dieser Tage dem „Guardian“ aus London erzählt.

 

Aus dem radsportverrückten Bradley ist heute einer der erfolgreichsten britischen Radfahrer geworden. Er hat drei OlympiaGoldmedaillen auf der Bahn geholt und eine 2012 in London im Zeitfahren auf der Straße. Er hat 2012 als erster Brite die Tour de France gewonnen, im vergangenen Jahr wurde er Weltmeister im Zeitfahren. Am Sonntag endet diese große Karriere auf der Straße: Bei Paris-Roubaix verabschiedet sich der zum Sir geadelte Wiggins mit 34 Jahren von der Straße.

Die „Hölle des Nordens“ (12.45 Uhr/Eurosport), wie das Rennen seit Ende des Ersten Weltkrieges genannt wird, weil die Region völlig verwüstet war, ist sein letzter Auftritt für den Rennstall Sky. Danach will er in einigen Wochen den Stundenweltrekord brechen und sich dann gezielt auf die Olympischen Spiele 2016 in Rio vorbereiten, bei denen er auf der Bahn starten will.

Wiggins will mit einem Sieg aufhören

Der Termin für den Abschied steht schon länger fest, und natürlich fiel seine Wahl auf Paris-Roubaix, sogar die Regeln des Radsportweltverbandes wurden dafür gebrochen. Die UCI erlaubt eigentlich nur Verträge für ein ganzes Jahr mit Fahrern, Wiggins’ Sky-Kontrakt endet am Sonntag.

Sir Bradley Wiggins will mit einem Sieg gehen. Die anderen Favoriten wie John Degenkolb haben den Briten auf jeden Fall auf der Rechnung, auch wenn Sky, je nach Rennverlauf, auch noch andere Optionen im Aufgebot hat, etwa Geraint Thomas. Im Vorjahr war Wiggins Neunter im Ziel im Vélodrome von Roubaix. Er sagt: „Roubaix war eines der Traumrennen meiner Kindheit.“

Paris-Roubaix ist ein Albtraum. Das Rennen in Nordfrankreich auf besseren Feldwegen (mal auch schlechteren) ist ein 253 Kilometer andauerndes Martyrium für Mensch und Material. 52,7 Kilometer Kopfsteinpflaster verteilen sich auf 27 Sektoren. Wer so viele Kilometer über die gefürchteten „Pavés“ fährt, bekommt eine Ahnung davon, wie sich die Zutaten in einem Cocktailshaker fühlen, wenn der Barmann kräftig schüttelt. Paris-Roubaix, sagen viele, ist ein Anachronismus. Es ist wie die Formel 1 in Monaco, irgendwie aus der Zeit gefallen, archaisch, gefährlich, ein bisschen irre. Und bei Regen ist es ein Wahnsinn. Die Nässe macht das Kopfsteinpflaster zu einem Ritt auf Seife.

Paris-Roubaix kann ein übles Pflaster sein

Einige Fahrer meiden es, vor allem jene, die bei den großen Rundfahrten große Pläne für das Gesamtklassement haben und diese nicht gefährden wollen. Und jene, die körperlich recht schmal und eher ungeeignet für die dauernde Rüttelei sind. Kurzum: Paris-Roubaix kann ein übles Pflaster sein. Die Fahrer lieben es, oder sie hassen es. Oft auch beides gleichzeitig, aber es übt eine Faszination auf Sportler wie Zuschauer aus, die seit mehr als 100 Jahren andauert. Es ist das wichtigste Eintagesrennen, die „Königin der Klassiker“ wird es auch genannt: „Paris-Roubaix zu gewinnen, wäre größer als der Toursieg“, sagt Bradley Wiggins.

Für ihn soll es ein gutes Pflaster sein. Seine gesamte Vorbereitung wie auch alle Rennen in dieser Saison waren nichts anderes als Teil eines Masterplans, der ihn zum Sieg bringen soll. Dreimal ist er die Strecke teils abgefahren, im Dezember, Januar und Februar. „Im Winter sind die Bedingungen schlecht, es ist gut, sie in dem Zustand zu sehen.“ Im Frühjahr hat er einige Rennen auf Kopfsteinpflaster bestritten. Dazu hat Wiggins Gewicht gemacht: Im Vergleich zu seinem WM-Sieg im Zeitfahren im September hat er fünf Kilo zugelegt, bei seinem Toursieg 2012 war er sogar sieben Kilo leichter, vor allem am Oberkörper hat er Muskeln aufgebaut, um für die Anforderungen auf Kopfstein gewappnet zu sein.

Mit der Straße hat er abgeschlossen, Chris Froome hat ihm bei Sky den Rang als Rundfahrer abgelaufen, ohnehin, so sagt er, war die Zeit nach dem Toursieg nicht seine: „Ich habe es gehasst. Ich hasste den Radsport, die Medien für all die Fragen zu Lance Armstrong. Ich hasste Armstrong für sein Interview bei Oprah Winfrey. Ich habe es gehasst, in einer Zeit die Tour gewonnen zu haben, in der ich all diese Fragen beantworten musste.“ Am Sonntag endet dieses Kapitel. Bei Paris-Roubaix, sagt Wiggins, müsse man bereit sein, zu sterben.