Der Kämpfer und mehrfache Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong gibt sich im Dopingverfahren geschlagen und gibt auf. Nun eröffnet sich eine neue Frage: Erbt Ex-Rad-Profi Jan Ulrich drei seiner Toursiege?

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Von Jan Ullrich hat Lance Armstrong nichts zu befürchten. Der wäre zwar der große Profiteur, wenn man dem US-Amerikaner tatsächlich seine sieben Toursiege aberkennen würde (dazu „Sieben Toursiege“) und dürfte sich dann vielleicht vierfacher Gewinner der Frankreichrundfahrt nennen. Aber der Rad-Rentner ist gerne Zweiter. Und will es auch bleiben. „Ich weiß, wie damals die Reihenfolge am Zielstrich war“, sagt Ullrich, dem wegen seinen Verstrickungen in die Fuentes-Dopingaffäre erst Anfang des Jahres sein dritter Platz bei der Tour de France 2005 übrigens selbst aberkannt wurde.

 

Jan Ullrich ist inhaltlich auf einer Linie mit Armstrong. Der hat am frühen Freitagmorgen deutscher Zeit via „Twitter“ mit diesen wenigen Zeichen „My official statement re: @usantidoping’s pitiful charade“ auf seine Stellungnahme zu dieser „erbärmlichen Farce“ verlinkt. Darin begründet Armstrong unter anderem, warum er nicht weiter kämpft („Genug ist genug“). Er nennt das Verfahren eine „Hexenjagd“. Er will das aber nicht als Schuldeingeständnis verstanden wissen. Er gibt nichts zu, sondern wehrt sich weiter und schreibt in bekannter Jan-Ullrich-Sprechweise („Ich habe niemanden betrogen“), warum er jenseits aller Verfahren und möglicher Folgen in seiner Wahrnehmung immer siebenfacher Tour-de-France-Sieger bleiben wird: „Ich weiß, wer siebenmal die Tour gewonnen hat, meine Teamkollegen und alle, gegen die ich gefahren bin, wissen, wer die Tour siebenmal gewonnen hat. Wir sind alle zusammen gefahren. Drei Wochen lang auf denselben Straßen, über dieselben Berge und gegen Wetter und Elemente, die wir besiegen mussten. Es gab keine Abkürzungen, es gab keine spezielle Behandlung. Dieselben Strecken, dieselben Regeln.“

Nur welche Regeln? Es ist die verquere Logik der Fairness dieses in Jahrzehnten entstandenen Systems, dass, wenn doch alle dopen, am Ende der Beste gewinnt – so kann man das verstehen. Wenn alle betrügen, wo ist dann der Betrogene? Vielleicht hat ja am Ende wirklich immer der Beste gewonnen – vielleicht wurde kein Fahrer betrogen, wohl aber das Ideal des Sports verraten, die Zuschauer und die sauberen Athleten im Peloton, könnte man einwenden. Jan Ullrich jedenfalls hat 2009 in einem Interview über die Branche gesagt: „Wer immer noch nicht eins und eins zusammenzählen kann, was im Radsport los war, dem kann ich auch nicht helfen.“

Nun kommt es auf das Urteil an

Doch was passiert nun? Die US-Antidopingbehörde USADA hat Armstrong wegen systematischen Dopings mit Epo und Steroiden am Freitag lebenslang gesperrt und seine Resultate seit 1998 gestrichen. Was also geschieht jetzt mit seinen Toursiegen?

Das hängt trotz des gestrigen Urteils am Weltverband UCI, denn nur der kann die Titel aberkennen. Die UCI kann das Verdikt übernehmen – oder aber auch nicht. Letzteres ist durchaus möglich, nachdem der UCI-Präsident Pat McQuaid schon während des Verfahrens Kritik an dem Vorgehen geübt und sein Verband mutmaßlich die schützende Hand über seinen Helden gehalten hatte. Es heißt, dass eine positive Probe 2001 verschwunden sein soll, es gab eine seltsame 125 000-Dollar-Spende Armstrongs an die UCI, und als 2005 bei Nachuntersuchungen von Dopingproben bei Armstrongs Toursieg 1999 Epo festgestellt wurde, blieb die UCI untätig.

Sollte die UCI nun Bedenken welcher Art auch immer haben und den Urteilsspruch nicht direkt umsetzen, würde dies bedeuten, dass der Fall dann vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) in Lausanne landet. Von einem Ausgang dieses möglichen Verfahrens hinge das weitere Vorgehen ab. Die UCI will zunächst abwarten, wie die USADA ihr Urteil exakt begründet, weshalb Armstrong seine sieben Tour-de-France-Titel verliere und sich dann erst äußern, hieß es gestern Nachmittag.

Segen und Fluch in einem

Wie komplex es ist, einen Toursieg abzuerkennen, zeigt der Fall Bjarne Riis. Nach dessen Dopinggeständnis 2007 hatte der Tour-Organisator Aso dem Dänen den Erfolg von 1996 genommen. Daraufhin intervenierte die UCI und machte mit Erfolg die Verjährungsregel von acht Jahren geltend. Riis ist damit offiziell der Sieger der Tour 1996 (Zweiter war damals – Jan Ullrich).

Für den Radsport war Lance Armstrong Segen und Fluch zugleich. Die hollywood-reife Geschichte eines vom Krebs geheilten Mannes, der die härteste Sportveranstaltung der Welt dominiert, war zu gut. Sie war eine Inspiration für viele Menschen auf der ganzen Welt, und sie verschaffte der ganzen Szene eine ungekannte PR. Doch von Beginn an begleiteten ihn Zweifel, die von Jahr zu Jahr stärker wurden. Den Patron hat man ihn erst genannt, dann immer öfter den Paten, und am Ende hat man ihm den Spitznamen „Teflon“ verpasst, weil alle Vorwürfe an ihm abzuperlen schienen.