Franziska Brauße vom RSV Öschelbronn ist Deutschlands Radsportlerin des Jahres. Zugleich ist die Eningerin ein Versprechen für WM und Olympia.

Berlin - Im Leben von Franziska Brauße geht es rund. Nicht immer. Aber fast immer. Kilometer um Kilometer, Tag für Tag, Rennen für Rennen. Franziska Brauße ist nicht nur Deutschlands Radsportlerin des Jahres 2019, sondern auch ein großes Versprechen. Für die Bahn-WM, die an diesem Mittwoch in Berlin beginnt. Und für die Olympischen Sommerspiele in fünf Monaten in Tokio. Das könnte eine Belastung sein, schließlich ist die Athletin aus Eningen unter Achalm erst 21 Jahre alt. Doch sie bringt so viel Druck auf die Pedale, dass die hohen Erwartungen sie nicht bremsen. „Ihr größter Antrieb ist ihre Zielstrebigkeit“, sagt André Korff, der Frauen-Bundestrainer für den Ausdauerbereich, „sie weiß ganz genau, was sie will.“ Auch bei den beiden Großereignissen 2020.

 

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Das Problem dabei: Es ist in diesem Jahr nicht ganz einfach, die Prioritäten richtig zu setzen. Physisch. Aber auch mental. Weil die Saison irgendwie zerrissen ist.

Normalerweise gilt eine WM im eigenen Land, egal in welcher Sportart, als der Höhepunkt des Jahres. Bei Deutschlands Bahnradfahrern ist das diesmal anders. Klar, die Titelkämpfe im Berliner Velodrom sind mehr als eine Durchgangsstation. Aber doch irgendwie auch nur ein (wichtiges) Etappenziel auf dem Weg nach Japan. Natürlich sind Podestplätze bei der WM wichtig für den Bund Deutscher Radfahrer. Noch wichtiger aber ist es, in möglichst vielen Disziplinen das Ticket nach Tokio zu lösen. „Vorrang hat die Absicherung der Olympia-Qualifikation“, sagt Patrick Moster, der Sportdirektor des BDR, „wir werden keine Risiken eingehen.“ Und folglich auch keine Experimente wagen – weder bei Team-Nominierungen noch bei der Wahl des Materials. Was das alles für Franziska Brauße bedeutet? Nicht viel. „Ich möchte“, erklärt sie, „bei der WM und bei Olympia um Medaillen fahren.“

Zurückgeworfen vom Drüsenfieber

Es ist eine klare Ansage. Aber keine, die nicht durch Leistung gedeckt wäre. Franziska Brauße machte lange Ballett („Das war am Ende ein ganz schöner Zickenkrieg“), ehe sie aufs Rad wechselte. Mit 13 fuhr sie ihr erstes Rennen auf der Straße, kurz danach wurde die Hochtalentierte bei den U-15-Schülerinnen deutsche Meisterin. Und in diesem Tempo ging es weiter. Sie kam ins U-17-Nationalteam, fuhr erstmals auf der Bahn, entwickelte sich auch dort rasant. Obwohl sie 2018 wegen des Pfeifferschen Drüsenfiebers vier Monate pausieren musste, wurde sie im vergangenen Jahr Doppel-Europameisterin in der Einer-Verfolgung. Erst bei den U-23-Juniorinnen, dann bei den Frauen. „Für mich ging es sehr schnell nach oben“, sagt Brauße, deren anfängliche Skepsis, im Kreisverkehr auf dem falschen Weg zu sein, längst verflogen ist: „Anfangs dachte ich, auf der Bahn zu fahren sei voll langweilig. Ist es aber nicht. Die taktischen Kniffe sind hochinteressant und so wichtig, dass man nicht die stärksten Beine haben muss, um zu gewinnen. Das gefällt mir.“

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Klar ist aber auch: ohne Kraft und Ausdauer geht gar nichts. Und auch sonst muss ziemlich viel zusammenpassen, um in der Weltspitze mithalten zu können. Bei Franziska Brauße, die für den RSV Öschelbronn startet, stimmen vor allem Körperhaltung und Sitzposition. „Was die Aerodynamik angeht, ist sie unsere Vorzeigeathletin“, sagt André Korff, „außerdem ist sie sehr aufgeschlossen und aufgeräumt, organisiert und strukturiert. Für so eine junge Sportlerin ist das absolut außergewöhnlich.“

Kein Wunder also, dass der Bundestrainer voll auf Brauße baut. Sie ist bei ihrer vierten WM eine feste Größe im Vierer, der aktuell zu den Besten der Welt gehört. Sie zählt in der Einer-Verfolgung zu den Medaillenanwärterinnen. Und sie ist im Madison (Zweier-Mannschaftsfahren) an der Seite von Lisa Klein gesetzt. Für die WM, und – wenn alles nach Plan läuft – auch für die Sommerspiele, bei denen es allerdings keine Einer-Verfolgung geben wird. „Das ist natürlich schade“, erklärt Franziska Brauße, „zumal wir uns zudem für den olympischen Omnium-Wettbewerb auch deshalb nicht qualifiziert haben, weil vonseiten des BDR organisatorisch nicht alles optimal gelaufen ist.“

Brauße will auf der Straße und in der Bahn angreifen

Es ist ein Satz, der zu der Athletin passt. Franziska Brauße gilt als selbstbewusst, meinungsstark, geradlinig. Nur an einer Stelle mag sie sich nicht entscheiden: Straße oder Bahn – Brauße will beides. Sie genießt es, draußen in der Natur zu sein, in langen Rennen ihre Standfestigkeit zu beweisen. Und sie liebt es, wenn es im Kreisverkehr aufs Durchsetzungsvermögen ankommt. Stürze? Hatte sie schon in beiden Disziplinen zu verkraften. „Was die Gefahr angeht, macht es keinen Unterschied, ob ich eine steile Abfahrt hinunterrase oder mit 50 bis 60 Sachen ohne Bremsen im Kreis herumfahre“, sagt sie, „im Radsport geht es so eng zu – da ist kein Platz für Angst.“ Und in ihrem speziellen Fall auch nicht für Existenzangst.

Franziska Brauße wird ganz sicher nicht reich werden durch ihre Passion. Allerdings ermöglichen ihr die Bundeswehr, ihr Straßenteam in Kempten, die Sporthilfe und private Sponsoren ein Dasein als Profi. „Da ich noch zu Hause wohne“, sagt sie, „komme ich ganz gut über die Runden.“ Finanziell. Und sportlich erst recht. Kilometer um Kilometer. Rennen für Rennen.