MTN Qhubeka ist der ungewöhnlichste Rennstall der Branche: Das Team wirbt für eine Stiftung, die Räder an Kinder in Afrika verteilt – und hat das Ziel, den ersten afrikanischen Toursieger herauszubringen.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Irgendwo in Afrika. Vorne am Horizont sind zwei Esel zu sehen, die einen Karren aus Holz ziehen. Kalahari-Express wird dieses Fortbewegungsmittel auch genannt. Links und rechts der staubigen Schotterpiste pilgern Menschen Richtung Kirche. Wie bei einer Völkerwanderung. Männer, Frauen, Kinder, Alte. Es ist ein Sonntag. Viele haben sich herausgeputzt. Zwischen ihnen und dem Gotteshaus liegen drei, vier Kilometer. Zu Fuß. Im Staub.

 

Das ist noch immer Realität in vielen Teilen Afrikas. In Zentralafrika sowieso, aber auch im etwas reicheren Süden wie in Namibia, Sambia, Südafrika oder in Botswana, wo die oben beschriebene Szene spielte. Alles Leben ist Laufen. Zumindest für viele. Mobilität ist Luxus. Und hier kommt ein Profiradrennstall ins Spiel: das Team MTN Qhubeka mit Sitz in Südafrika.

In Afrika soll das Rad populär gemacht werden

Es ist der erste Profistall aus Afrika. Und es geht um Sport, natürlich, aber nicht nur. Gerald Ciolek und Co. fahren für eine bessere Welt. Sie sind Teil einer Kampagne auf zwei Rädern, die verschiedene Ziele verfolgt: Der Rennstall will Profiradsport auf dem Kontinent fördern, afrikanische Fahrer an die Spitze bringen und vor allem das Rad populär machen. „Qhubeka möchte sich nicht nur selbst weiterentwickeln, sondern auch die Menschen in Afrika mobiler machen“, sagt der Deutsche Jens Zemke, seit 2012 sportlicher Leiter des Teams. Das Rad der guten Hoffnung.

Dafür steht die Stiftung Qhubeka, die neben dem Kommunikationsunternehmen MTN, das Qhubeka finanziell unterstützt, Namensgeber ist. Die Nichtregierungsorganisation verteilt Fahrräder in ländlichen Regionen Afrikas, um den Kindern zum Beispiel den Schulweg zu erleichtern. Allein in Südafrika, so Schätzungen, müssen mindestens 500 000 Kinder mehr als zwei Stunden zur Schule laufen, einfacher Weg. Mit einem Fahrrad lässt sich die Zeit um 75 Prozent reduzieren, was laut Statistiken auch zur Folge hat, dass die Anwesenheit in der Schule steigt. Seit 2005 hat Qhubeka, was „Fortschritt“ bedeutet, vor allem in Townships mehr als 100 000 Räder ausgegeben. Im Gegenzug müssen die Kinder zum Beispiel eine bestimmte Menge Müll einsammeln oder entsprechend viele Bäume pflanzen.

Der Rennstall ist eine wichtige Kommunikationsplattform für die Stiftung, durch Erfolge die Botschaft in die Welt zu tragen und auf diesem Weg Spenden zu generieren. Seit 2013 hat die Equipe einen Status als Professional Continental Team, was die zweite Liga in der Branche ist. Im vergangenen Jahr fuhr die Equipe bei Mailand-San Remo erstmals ins Rampenlicht der Radsportwelt. Gerald Ciolek gewann überraschend das Rennen. Es war der größte Sieg für Afrikas Radsport, von einem Deutschen zwar, aber im Trikot eines Rennstalls aus Südafrika. Insgesamt 14. Siege, maßgeblich durch den Sprinter, konnte das Team 2013 einfahren.

Das Team MTN Ohubeka hofft 2015 auf die Tour de France

Die Fahrer in den knallgelben Trikots waren ein erfrischender Farbtupfer im Peloton und haben weltweit für viel Aufsehen gesorgt im Radsport, in dem es ohnehin kaum schwarze Fahrer gibt. 2014 hat MTB Qhubeka nun deutlich mehr Einladungen zu großen Rennen bekommen, auf die ein Team der zweiten Kategorie angewiesen ist, um starten zu dürfen. Eine große Tour ist noch nicht dabei, aber das Team, für das seit dieser Saison auch Linus Gerdemann fährt, hofft, 2015 bei der Frankreichrundfahrt antreten zu dürfen.

Der Rennstall ist das Schaufenster von Afrikas Radsport und die Fahrschule Afrikas. Der Aufstieg des Team ist eng verbunden mit dem afrikanischen Ableger des World Cycling Centres (WCC). Es ist das Entwicklungshilfeprojekt des Weltverbandes UCI, der seit langem versucht, den europäisch geprägte Radsport zu globalisieren. Es geht um Wachstumsmärkte, vor allem in Asien, wo sich viel tut, aber eben auch Afrika. Der afrikanische Sitz des WCC ist in Potchefstroom, Südafrika, auf 1400 Meter. Talentierte Fahrer aus dem ganzen Kontinent trainieren dort, aus Eritrea, Ruanda oder Äthiopien. MTN Qhubeka wiederum ist der wichtigste Partner der Kaderschmiede, mit Ausnahme der verpflichteten Profis wie Ciolek oder Gerdemann haben alle Fahrer das WCC durchlaufen.

Manche glauben, dass afrikanische Athleten einmal den Radsport dominieren werden. So wie es aus der Höhe kommende Sportler aus Äthiopien oder Kenia in der Leichtathletik tun, sobald die Distanzen länger werden. Wenn also Afrikaner die Fähigkeit zu solchen Leistungen auf der Bahn oder im Marathon haben, dann müssten sie auch über das Potenzial verfügen, andere Ausdauerdisziplinen zu beherrschen. Die Straße. Auf dem Rad. Das ist die Theorie.

Der Leiter des Zentrums, Jean-Pierre van Zyl, sagt: „Von dem, was ich gesehen habe: Ich denke, die nächsten zehn Jahre werden von Afrikanern dominiert.“

Wer eine große Rundfahrt wie die Tour de France gewinnen will, muss ein Ausnahmemensch sein. Er muss über die perfekte DNA verfügen, über Ausdauervermögen im Grenzbereich des Menschen und über außergewöhnliche Regenerationsfähigkeit. Aber das allein macht keinen großen Sieger aus. Radsport ist komplexer als Laufen. Eine gute Mannschaft ist wichtig, eine gute Taktik und Technik, Gespür für Situationen und Fähigkeiten im Kampf gegen die Uhr. Ein Tour-de-France-Sieger hat alle Eigenschaften. Ein Talent voller Talente.

Wie Tsagbu Grmay? Der 22-Jährige aus Äthiopien ist die große Hoffnung des Rennstalls – wie im vergangenen Jahr der in Kenia geborene Brite Chris Froome soll er in ein paar Jahren mal die Tour de France gewinnen. Einige gute Ergebnisse hat er bei Rundfahrten gezeigt. Ihm wird unglaubliches Potenzial bescheinigt. Er sagt: „Ich hoffe, dass durch uns mehr afrikanische Kinder zum Radsport finden und ich irgendwann niemandem mehr sagen muss, wer ich bin und warum ich Rad fahre.“

Der Rad-Entwicklungshelfer Peter van der Zyl sagt über Tsagbu Grmay: „Manche Champions werden nicht gemacht. Sie werden geboren.“ Irgendwo in Afrika.