Der Fall: Christopher Froome wird positiv getestet, bei ihm ist der Grenzwert für das Asthmamittel Salbutamol deutlich überschritten. Der Vorwurf: Beim Superstar des Radsports wird mit zweierlei Maß gemessen.

Stuttgart - Es ist gerade mal zwei Wochen her, da kündigte Chistopher Froome den nächsten Coup an: 2018 will er zuerst den Giro d’Italia gewinnen, und dann nach fünf Wochen Pause auch die Tour de France. Das gelang zuletzt Epo-Doper Marco Pantani im Jahr 1998. Doch nicht nur aus sportlicher Sicht ist das Ziel von Froome bemerkenswert. Sondern auch, weil er im nächsten Sommer womöglich gesperrt ist – und dies, als er über das Double philosophierte, auch schon wusste. Weshalb sich nach dem positiven Test auf das Asthmamittel Salbutamol vor allem zwei Fragen stellen: Ist sich Froome seiner Sache so sicher, weil er geschützt wird? Oder lebt der Superstar des Radsports nur in seiner eigenen Welt?

 

„Ich habe keine Regeln gebrochen“

Für die zweite These sprechen ein paar andere Sätze von Froome. „Ich nehme meine Führungsrolle im Sport sehr ernst“, sagte er einmal, als es ums Thema Doping ging. Und: „Ich weiß, dass ich die Regeln nicht nur ertragen muss, sondern ich muss weitergehen, um der Vorbildfunktion auch moralisch und ethisch gerecht zu werden.“ Wie sich das alles verträgt mit den 2000 Nanogramm Salbutamol (genau die doppelte Menge des Erlaubten), die am 7. September nach einer Bergetappe bei der Spanien-Rundfahrt in seinem Urin gefunden wurden? „Ich fahre seit zehn Jahren mit Asthma und behandle so lange auch schon meine Symptome“, erklärte Froome nur, sagte aber nicht, wie es zur Überdosis gekommen ist. Sicher jedoch sei: „Ich habe keine Regeln gebrochen.“

So sieht es vorerst auch der Radsport-Weltverband UCI, der Froome weiterradeln lässt. Nur deshalb hat der Brite am 20. September, am Tag, als er von dem positiven Test erfuhr, im WM-Zeitfahren Bronze gewinnen können. Und auch sein Sky-Team, das so gerne seine Null-Toleranz-Politik in Sachen Doping betont, nahm ihn nicht aus dem Rennen. Das es anders geht, zeigte die Equipe Lampre beim letzten Salbutamol-Fall im Peloton. Der Italiener Diego Ulissi wurde am 25. Juni 2014, unmittelbar nach Bekanntwerden der positiven A-Probe, vorläufig suspendiert. Ulissi (erwischt mit 1900 Nanogramm) erhielt eine Sperre von neun Monaten, für zehn Monate wurde 2008 der italienische Sprinter Alessandro Petacchi (1320 Nanogramm) gesperrt. Auch er war zuvor von seinem Team Milram sofort suspendiert worden. Der Fall Froome? Liegt nicht anders – außer dass es für den Superstar eine Sonderbehandlung gibt. Was viele nicht verstehen können. Und einen richtig ärgert.

Tony Martin ist „total wütend“

Tony Martin ist viermaliger Weltmeister im Zeitfahren und auch vorne dran, wenn es gilt, im Kampf gegen Doping Position zu beziehen. „Ich bin total wütend“, erklärte er nun, „bei Froome wird definitiv mit zweierlei Maß gemessen. Andere Sportler werden nach einer positiven Probe sofort gesperrt. Ihm und seinem Team wurde von der UCI Zeit gegeben, sich zu erklären. Das ist ein Skandal!“ Nach Meinung des Katusha-Profis herrscht deshalb akuter Mauschelei-Verdacht: „Es entsteht der Eindruck, dass nach Wegen gesucht wird, wie Froome aus diesem Fall rauskommt. Dieses Vorgehen führt den Anti-Doping-Kampf mit einem Schlag ad absurdum. Die Glaubwürdigkeit des Radsports steht auf dem Spiel. Das was hier bei der UCI läuft ist inkonsequent und intransparent, unprofessionell und unfair.“

Auch Jörg Werner, Manager von Tony Martin und seines künftigen Katusha-Kollegen Marcel Kittel, kritisierte die laxe Haltung der UCI. „Das ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die sich für einen sauberen Sport einsetzen“, sagte er, „ich kann nicht verstehen, dass ein Mann wie Froome, der 20 Millionen Euro auf dem Konto hat, sich mit solch einem Mittel erwischen lässt.“

Vincenzo Nibali zweifelt die Version des Konkurrenten an

Vincenzo Nibali, bei der Vuelta 2017 Zweiter hinter Froome, zweifelte die Version des Konkurrenten an, er habe auf Anraten des Sky-Teamarztes die Salbutamol-Dosierung erhöht, nachdem sich seine Asthma-Beschwerden verschlimmert hatten. „Es hat an diesen Tagen in Spanien geregnet“, erklärte der Italiener, der selbst Asthmatiker ist, „dann aber verursachen die Pollen keine Probleme. Wenn Froomes Fall als positiver bestätigt wird, kann mir niemand die Emotionen zurückgeben, die ich durch den Vuelta-Sieg gehabt hätte.“

Offen ist, ob Froome der Erfolg in Spanien aberkannt wird. Und ob sein Sonderstatus ausreicht, um ihm eine Sperre zu ersparen. Der Brite hat versprochen, zur Aufklärung des Falles beizutragen. Und sich gleichzeitig einen prominenten Anwalt genommen. Mike Morgan gilt als exzellenter Verteidiger – auch von Dopingsündern.