Lisa Brennauer bei Paris–Roubaix Wie eine Deutsche Radsportgeschichte schreiben will
Erstmals gibt es den Klassiker Paris–Roubaix auch für weibliche Radprofis – und Lisa Brennauer rechnet sich Chancen auf den Sieg aus.
Erstmals gibt es den Klassiker Paris–Roubaix auch für weibliche Radprofis – und Lisa Brennauer rechnet sich Chancen auf den Sieg aus.
Paris/Stuttgart - Es ist kein Geheimnis, dass es im Sport nicht immer fair zugeht. Erst recht nicht beim Thema Gleichberechtigung. Die besten Skispringerinnen der Welt zum Beispiel warten immer noch auf grünes Licht, um endlich mal einen Wettbewerb auf einer der großen Skiflugschanzen austragen zu können. Deshalb ist es kein Trost für sie, vielleicht ja aber eine Genugtuung, dass es nun andernorts vorwärts geht – zumal im Radsport alles noch viel länger gedauert hat.
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125 Jahre (!) nach der Premiere gibt es an diesem Samstag ab 13.35 Uhr den Klassiker Paris–Roubaix erstmals für Frauen. Ein Meilenstein? Für Lisa Brennauer auf jeden Fall. „Es ist ein Rennen mit einem sehr, sehr hohen Stellenwert, ein richtiges Monument“, sagt die frisch gekürte Olympiasiegerin (Bahnrad-Vierer) und Weltmeisterin (Mixedteam-Zeitfahren) aus Kempten. „Es wird bei uns im Kalender einen großen Platz einnehmen.“ Daran gibt es wenig Zweifel, denn ein Spektakel ist garantiert. Egal zu welcher Jahreszeit.
Eigentlich ist für Paris–Roubaix einer der Sonntage im April reserviert. Doch die Coronapandemie hat auch die Radsporttermine über den Haufen geworfen. 2020 fiel das Rennen aus, 2021 wurde es auf das erste Oktober-Wochenende verschoben. Erst sind samstags die Frauen dran, ihr Kurs führt über 116,4 Kilometer und 17 Kopfsteinpflaster-Sektoren, sogenannte Pavés (29,2 Kilometer), von Denain ins Velodrom von Roubaix. Auf den letzten 85 Kilometern ist die Strecke identisch mit dem Männer-Wettbewerb am Sonntag. Dieser startet um 11 Uhr in Compiègne, führt über 257,7 Kilometer und 30 Pavés (55 Kilometer). Was die beiden Rennen verbindet? Die Bezeichnung „Hölle des Nordens“ passt gleichermaßen. Diesmal könnte es auch noch besonders dramatisch werden.
Es ist fast 20 Jahre her, dass es bei Paris–Roubaix letztmals geregnet hat. Nun ist ausgerechnet für dieses Wochenende richtig schlechtes Wetter prognostiziert. Mit Wind, Kälte, Niederschlägen. „Wenn die Vorhersage nur annähernd stimmt, wird das Rennen einen Charakter haben, wie wir es lange nicht hatten“, sagt John Degenkolb, der Sieger von 2015, nach dem ein Pavé benannt ist. „Es wird die Fahrweise auf dem Pflaster verändern. Es könnte noch mal chaotischer und hektischer werden.“ Doch Lisa Brennauer kann auch das nicht schrecken.
Die Allgäuerin weiß natürlich, worum es für die Radsportlerinnen nun geht – sich zu beweisen. Voller Mut und Tatkraft, sei die Herausforderung auch noch so groß. „Wir alle haben Paris–Roubaix zigmal im Fernsehen gesehen. Die Brutalität, die Zuschauermassen, den einmaligen Charakter – es ist mit keinem anderen Radrennen zu vergleichen“, sagt Brennauer. Für die Entwicklung des Frauen-Radsports sei die Premiere deshalb „ein wichtiger Schritt nach vorne“. Und ein bisschen denkt sie ja womöglich auch an sich selbst.
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Brennauer (33) hat viel gewonnen in ihrer Karriere, auf der Bahn und der Straße. Nun aber geht es um einen Platz im Geschichtsbuch, und die Profiradlerin aus dem Team Ceratizit-WNT rechnet sich durchaus Chancen aus, die erste Siegerin im Velodrom von Roubaix zu sein. „Das Rennen liegt mir“, meint sie, „ich hoffe, dass ich die Beine habe, um ganz vorne mitzumischen.“ Wie es ablaufen könnte? Hat sie schon durchgespielt.
Gänsehaut habe sie bekommen, als sie darüber nachdachte, wie es wohl sei, kurz vor Roubaix die letzten Pflastersteine hinter sich zu lassen und auf die legendäre Radrennbahn einzubiegen: „Ich mag den Style dieses Rennens, bin ganz besonders motiviert.“ Und auch gut vorbereitet. Nach der WM machte sich Brennauer vertraut mit den Pflastersteinen, suchte die beste Linie in den Pavés, testete Material. Und sie hat auch mit John Degenkolb gesprochen, den sie kennt, seitdem beide gemeinsam Schülerrennen bestritten haben. „Sein Sieg ist mein liebster Roubaix-Moment“, sagt sie. „Sein wichtigster Rat war, immer an der Spitze zu sein und niemals aufzugeben – weil in diesem Rennen alles passieren kann.“
Doch egal, wie es letztlich auch ausgehen wird, eine Siegerin gibt es bereits: die Gleichberechtigung. Was nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass auch im Radsport noch viel zu tun bleibt. Mailand–Sanremo und die Lombardei-Rundfahrt – zwei andere der insgesamt fünf Monumente – sind zum Beispiel weiterhin allein den Männern vorbehalten.
Männer-Rennen
Start
Noch ist nicht sicher, ob John Degenkolb (32), der Sieger von 2015, an diesem Sonntag (11 Uhr) beim Klassiker Paris–Roubaix an den Start gehen kann. Der Radprofi kämpft weiterhin mit den Folgen seines schweren Sturzes im WM-Rennen am vergangenen Sonntag. „Ich habe enorme Schürfwunden. Es ist außergewöhnlich, wie viel Haut ab ist“, sagte Degenkolb, der am Freitag nach Paris gereist ist. Über einen Einsatz soll kurzfristig entschieden werden.
Sieger
2010
Fabian Cancellara (Schweiz) 2011
Johan Vansummeren (Belgien) 2012
Tom Boonen (Belgien) 2013
Fabian Cancellara (Schweiz) 2014
Niki Terpstra (Niederlande) 2015
John Degenkolb (Deutschland) 2016
Mathew Hayman (Australien) 2017
Greg van Avermaet (Belgien) 2018
Peter Sagan (Slowakei) 2019
Philippe Gilbert (Belgien)