Joachim Faulhaber sammelt alles, was mit Radsport zu tun hat. Jetzt sind seine mehr als tausend Exponate im Technikmuseum Sinsheim zu sehen.

Sinsheim - Joachim Faulhaber hat einen unhandlichen Steinbrocken in der Hand und strahlt. Um ihn herum stehen einige Männer mit ehrfürchtigem Blick und gezücktem Fotoapparat. Auch sie scheinen beeindruckt. Wenn es Menschen beim bloßen Anblick eines schlichten Steins ein seliges Lächeln ins Gesicht zaubert, dann könnte man schon meinen, diese Leute seien ein wenig ärmlichen Gemüts. Meistens sind diese Zeitgenossen übrigens männlich – bevor jemand unkt: das muss nicht unbedingt etwas mit bescheuert zu tun haben – und es sind zumindest infizierte, meist sogar liebende Menschen. Doch, das ist so.

 

Der Stein, der nun von Faulhaber in eine Glasvitrine gesetzt wird, ist auch nicht irgendein Wacker, sondern ein Stück Granit, herausgebrochen aus einer alten Kopfsteinpflasterstraße im Norden Frankreichs. Auf diesen Pavés holpern alljährlich fluchende und verdreckte Radprofis von Paris in Richtung Norden bis nach Roubaix. Die alten Schüttelstrecken gibt es überhaupt nur noch wegen des Rennens. An deren Rändern versammeln sich jedes Frühjahr Hunderttausende, um die Herren Berufsradler bei ihrer an Selbstkasteiung erinnernden Raserei anzufeuern. Im Gesicht tragen die Fans dabei ebendieses selige Lächeln wahrer Zuneigung zu ihren Helden. Sie kennen natürlich alle den Namen des Profis, der Faulhabers Findling signiert hat: Fabian Cancellara, Schweizer und dreifacher Sieger des Klassikers Paris–Roubaix.

Der Wacker aus Frankreichs Norden ist ein Exponat aus einer neuen Dauerausstellung im Technikmuseum Sinsheim. Eine Schau, die wohl künftig alle in ihren Bann ziehen wird, die ihr Herz an den Radsport verloren haben. Und die gibt es trotz der widerlichen Dopingjahre wieder und auch immer noch. Meist sind das Männer in den besten Jahren, Männer, die vor dem Fernseher eine wohlige Gänsehaut bekommen, wenn sich die Tour de France über den Galibier quält, gerne natürlich bei Regen und noch besser bei Schneeschauern, die dort auch im Juli gelegentlich toben. Wunderbar. Oder Männer, die jeden, der sich ein Schutzblech oder einen Gepäckträger ans Rad montiert, für ein Weichei halten und für die E-Bike-Fahrer das Allerletzte sind. Allein das Aussprechen des Wortes E-Bike gerät bei dieser Spezies zu einem vom Ekel gezeichneten Gewürge.

Die reine Verzweiflung bringt ihn nach Sinsheim

Joachim Faulhaber, den alle Welt nur Jockel nennt, gehört auch zu dieser Sorte Mann. Der 66-Jährige ist ein Rennrad-Purist, einer, der sich selbst gerne in den Sattel schwingt, aber noch lieber die Profiszene als Edelfan erlebt. „Ich bin als junger Kerl auch mal Rennen gefahren, aber ich war nicht gut genug.“

Sein uraltes Herkules-Rennrad war zudem zu schwer, und dann hat ihm noch seine Schwester in völliger Unkenntnis das Leder aus einer alten Jacke außen auf eine selbst gestrickte Wollhose genäht. „Ich wusste eben nur, dass Radhosen Leder am Hintern haben, aber nicht, dass es innen sein muss“, erzählt er. Bevor noch mehr passierte, beendete er lieber seine aktive Karriere. Danach hat er seine vier Neffen trainiert. Die waren besser als er, auch wenn dann doch keiner Profi wurde. Aber über die Beschäftigung mit dem Sport und über die Besuche bei den Rennen kam der selbstständige Grafiker zum Sammeln von allem, was mit Radsport zu tun hat. Das war vor 35 Jahren.

Angefangen hat es mit einem historischen Rennrad mit Holzfelgen, heute hat er mehr als tausend Exponate in seinem Besitz, darunter etwa siebzig Fahrräder. Teils sind die Objekte gekauft, teils gefunden, teils den Stars hartnäckig abgerungen. Bis vor Kurzem wusste der Mann mit den rosigen Wangen nicht, wohin damit. In seiner Heimatstadt Kaiserslautern hat man Joachim Faulhaber bei seiner Suche nach einem geeigneten Ort für eine Ausstellung jahrelang vertröstet. Sagt er. Es war dann so etwas wie die reine Verzweiflung, die den Pfälzer über die Bundeslandgrenze nach Baden-Württemberg trieb – das Technikmuseum in Sinsheim nahm den Sammler in Sachen Männerträume gerne auf. Der Museumschef Hermann Layher sagt dazu: „Wir wissen, dass viele Leute einen Zugang zum Radsport haben. Und wir bauen das aus.“

Radsport ist wunderbar. Oder sexy. Oder beides

Jockel Faulhaber ist mit seinen Exponaten jedenfalls angekommen. Zwischen ausrangierten Flugzeugen, Amischlitten und aberwitzigen, zigarrenähnlichen Geräten, mit denen ein Geschwindigkeitsjunkie über einen Salzsee gebrettert ist, darf er derzeit auf 200 Quadratmetern seine Schätze präsentieren. Im Sommer sollen es mehr werden. Der Umzug der Exponate ins Badische war auch so etwas wie ein familiärer Befreiungsschlag. Faulhabers Frau Sissi hatte nach vielen, vielen Sammlerjahren immer weniger Lust darauf, sich das Wohnzimmer zum Beispiel mit einer Zeitfahrmaschine des fünffachen Tour-de-France-Siegers Miguel Indurain, ein paar alten Radschuhen von wem auch immer, einem Trikot von Udo Bölts oder einem steinalten DDR-Ergometer zu teilen, auf dem damals die Radsportler gegen den Widerstand einer Lkw-Lichtmaschine treten mussten – nicht weil der Osten seine Sportler zur Stromerzeugung einsetzen wollte, sondern weil sie nichts Besseres als Tretwiderstand hatten. Diese Dinge konnte man aber wenigstens noch zu Hause irgendwie stapeln, was bei einem Stehermotorrad von der Bahn oder dem kompletten Interieur einer Radwerkstatt allerdings nur bedingt möglich ist. Bei den Faulhabers wurde es immer enger.

Das Raumproblem ist jetzt gelöst, Sissi Faulhaber hat ihr Wohnzimmer zurück, ihren Mann aber nur partiell, denn der sammelt fleißig weiter. Urlaub? „Vielleicht mal drei Tage zur Rad- WM“, sagt er. Jockel Faulhaber gehört eben zu den Typen, die den Radsport für die letzte Bastion unverfälschter Männlichkeit halten, auch wenn man ihn mit ein bisschen Watte und einer roten Kapuze ganz schnell zu einem gemütlichen Nikolaus umdekorieren könnte. Aber das ist nur Optik. Faulhaber findet alles, was mit hartem Radsport zu tun hat, schlicht wunderbar. Oder sexy. Oder beides.

Mit dieser Freude am harten Sport steht Faulhaber nicht alleine. Das Rennrad hat seine Fangemeinde – übrigens auch unter Promis: Die ehemaligen PS-Weltstars Walter Röhrl oder Alain Prost oder der MLP-Gründer Manfred Lautenschläger schwärmen ganz offensiv, andere wie der Daimler-Technikvorstand Thomas Weber oder der Skistar Markus Wasmeier eher dezent, aber auch sie kennen sich aus. Und was man heute kaum noch weiß: der ehemalige Außenminister Joschka Fischer wurde als 16-Jähriger im Trikot des 1. RV Stuttgardia Stuttgart baden-württembergischer Jugendmeister im Vierer-Mannschaftszeitfahren auf der Straße. Kurz danach verließ er die Stadt, um im schottischen Gretna Green zu heiraten, und war damit für den Radsport verloren.

Staunende Olympiasieger

Jockel Faulhaber blieb seiner Passion aber immer treu. Im Alltag ziert ihn ein Radkäppi über seiner Nickelbrille, oberhalb der obligaten Jeans trägt der Mann ein Tour-de-France-Shirt. Natürlich. Und dann erzählt er eine seiner vielen Geschichten: Einmal ist er mit einem Team des SWR nach Spanien gefahren. Die Fernsehleute drehten ein Porträt über Miguel Indurain, dem Megastar aus dem Baskenland. Faulhaber war dabei und hatte ein Zeitfahrrad von „Don Miguel“ im Gepäck, das er in Deutschland gekauft hatte. Indurain habe sich gefreut, mit dem Rad eine Runde ums Haus gedreht, und plötzlich waren die beiden allein. „Da saßen wir nun, er konnte weder Deutsch noch Englisch, ich kein Wort Spanisch, aber es war wunderbar“, erinnert er sich. Heute steht das Velo in einer Vitrine in Sinsheim. Handsigniert natürlich.

Mit den deutschen Radgrößen kann sich Faulhaber einfacher unterhalten. Der Ex-Weltmeister Rudi Altig kam zur Eröffnung, Udo Bölts, der 1997 einen gewissen Jan Ullrich als unermüdlicher Edelhelfer zum Tour-Sieg gebrüllt hat („Quäl dich, du Sau!“), zählt zu Jockels Freunden, genauso wie die Olympiasieger Gregor Braun, Olaf Ludwig und der Herrenberger Karl Link. Und auch die staunen, was Faulhaber da so alles zusammengetragen hat. Ullrichs Startnummer beim Tour-Sieg 1997, das Originalschild des Radladens von Rolf Wolfshohl, ein WM-Trikot von Rudi Altig, das erste Profirad von Udo Bölts, mit dem der in den 90er Jahren die Königsetappe des Giro d’Italia gewonnen hat. Und, und, und.

Dazu detailverliebte Arrangements wie zum Beispiel eine Originalkoje vom Kölner Sechstagerennen, also der Holzverschlag, in dem jeweils zwei Rennfahrer eine knappe Woche mehr oder weniger toujours zu Hause waren. Als die Kölner Bahn 1998 nach Moskau verkauft wurde, war Faulhaber zur Stelle und demontierte die Koje. Den Mann interessiert offenbar wirklich alles rund um den Radsport, und über jedes seiner Exponate kann er ohne Punkt und Komma reden. Geschichten mit vollem Einsatz, wie einst der Trenker Louis im Nachmittagsprogramm.

Noch fehlt ein alter Peugeot

Es soll noch weitergehen. Als ihm Udo Bölts einst wieder mal ein paar Dinge aus seiner Garage anbot, dachte sich Faulhaber: „Für den sind das Gebrauchsgegenstände, für mich Heiligtümer.“ Und noch eines: „Mir macht es Spaß, Sachen zu erhalten, die sonst untergehen würden.“ Daraus saugt er die Motivation, neben seiner Arbeit als Grafiker Tausende von Stunden für sein Hobby aufzuwenden.

Das nächste Projekt steht schon an. In Sinsheim soll zusätzlich eine Art „Tour Village“ entstehen, also ein Arrangement, wie es jeden Tag beim größten Radrennen der Welt vor dem Start aufgebaut wird. Den Platz dazu räumt ihm das Museum ein, Anfang Mai beginnt der Aufbau. Exponate habe er noch genug zu Hause, sagt Faulhaber. Was aber noch fehlt, ist so ein alter Peugeot, mit dem früher die Fahrer begleitet wurden. So einer mit einem festgeschweißten Dachträger und einer Blechplakette vornedran. „Ich habe da aber vielleicht was in Aussicht“, sagt Jockel Faulhaber.